Wie viel kann man falsch machen?

Die Causa Mark Hauptmann sorgte Mitte April 2023 erneut für bundesweite Headlines. Der Vorwurf: Er soll während einer Japanreise im Juli 2019 eine Mitarbeiterin des Auswärtigen Amts vergewaltigt haben. Der Spiegel berichtete als erstes davon, und alle anderen Medien folgten. Die Staatsanwaltschaft Potsdam bestätigte, dass seit Juni 2022 ein entsprechendes Verfahren gegen Hauptmann läuft.

Mark Hartmann, ein typischer Vertreter dieser jungen Kaste von Politikern, die alle dem gleichen Karrieremuster folgen, kommt scheinbar nicht aus den Schlagzeilen. Doch die Aufmacher sind oberflächlich, versorgen einen flüchtigen Mainstream – und sind schnell wieder von anderen, neueren Themen verdrängt.

So wie vor zwei Jahren: Hauptmann stand im Mittelpunkt einer Maskenaffäre, die ausgehend von Bayern die Gemüter an den Stammtischen, die Justiz und insbesondere die Medien bewegte. Razzien – anders werden Durchsuchungen kaum noch genannt – Haftbefehle, Aufdeckungen von ungeheuerlichen Summen vermeintlicher Schmiergelder, Beraterverträge, perverser Lobbyismus – alles war dabei.

Nach wenigen Wochen war das Spektakel vorbei. Die meisten Verfahren wurden eingestellt, die Empörung war beigelegt, die juristische Auseinandersetzung mit der Maskenaffäre interessierte nur noch eine Minderheit und verschwand aus den Schlagzeilen. Das Ansehen von PolitikerInnen war nachhaltig ramponiert.

Jedoch, ein Blick hinter die Fassaden lohnt: Als wegen der Maskenaffäre ein sogenannter Prüfvorgang der Thüringer Generalstaatsanwaltschaft im März 2021 gegen Mark Hauptmann, kurz vorher als Bundestagsabgeordneter der CDU zurückgetreten, eingeleitet wurde, war die Einführung der Neufassung des Paragrafen 108e Strafgesetzbuch bereits sieben Jahr her!

Seitdem musste allen klar gewesen sein, dass sich dieser „neu“ gefasste Paragraf, die Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern, ausschließlich auf ein Verhalten bei der Wahrnehmung des Mandates beschränkte. Deshalb war die Einleitung eines Prüfungsvorganges logisch. Jedoch betonte die Generalstaatsanwaltschaft in Jena, das schon deswegen kein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden kann, weil Hauptmann noch Immunität genieße …

14 Tage später wurde gegen Hauptmann ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Bestechlichkeit von Mandatsträgern eingeleitet. Die Wohnräume Hauptmanns in Thüringen und Brandenburg sowie sein Büro im Bundestag in Berlin und nach Mitteilung der CDU Thüringen auch die Kreisgeschäftsstellen der Partei in mehreren Orten wurden von Beamten des Landeskriminalamt Thüringen durchsucht. Das Thüringer Oberlandesgericht verhängte im Zusammenhang mit den Geschäften einen Vermögensarrest in Höhe von 997 000 Euro, der auch vollstreckt wurde.

Obwohl zu diesem Zeitpunkt aber wirklich alle wissen musste, dass er sich wegen dieses Straftatbestandes nicht schuldig gemacht haben konnte!

Hier folgte die Thüringer Justiz wohl im Treu und Glauben der bayerischen Justiz, welche wegen ähnlicher Tatvorwürfe ebenfalls wegen Mandatsträgerbestechlichkeit Ermittlungen eingeleitet hatte. Bereits am 3. Februar 2021 hatte die bayerische Justiz gegen den damaligen CSU-Bundestagsabgeordneten Dr. Nüßlein Durchsuchungsbeschlüsse wegen „Abgeordnetenbestechung“ erlassen.

Die bayerischen Beschlüsse wurden (fast) alle aufgehoben, da das den Beschuldigten zur Last liegende Verhalten den Tatbestand der Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern nicht erfüllt! Hört hört! Dazu äußerte sich das OLG München nochmals eindeutig: Strafbar verhält sich der Mandatsträger nur, wenn ein Vorteil als Gegenleistung für eine Handlung bei der Wahrnehmung seines Mandats zugewendet bzw. versprochen wird. Natürlich nichts Neues, die Quellen, die diese Tatsachen belegen, sind umfangreich, schon viele Jahre alt und bekannt. Besonders die reichliche Kritik daran.

Der Bundesgesetzgeber hat den Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung ausschließlich zum Schutz der Arbeit von Parlaments- und Fraktionsgremien geschaffen. Erfasst werden daher nur Bestechungshandlungen, durch die die Tätigkeit im Rahmen der parlamentarischen Arbeit im Plenum, den Ausschüssen sowie den Arbeitskreisen und -gruppen der Parteifraktionen beeinflusst werden soll. Das OLG München hat die noch mal knapp formuliert. Das die Maskendeals anders stattfanden – dazu braucht es weder Prüfungsvorgänge noch verzwickte juristische Auslegungen.

Nach dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers macht sich dagegen ein Mandatsträger durch die Annahme von unberechtigten Vermögensvorteilen nicht strafbar, wenn er – wie vorliegend geschehen – lediglich die Autorität seines Mandats oder seine Kontakte nutzt, um Entscheidungen von außerparlamentarischen Stellen, z.B. Behörden und Ministerien, zu beeinflussen. Tja, an der Quelle zu sitzen, hat Vorteile. Warum soll man auch Straftatbestände schaffen, die einen später selbst betreffen könnten. Oder, noch schlimmer gedacht: Warum sollte man ein gängiges und reichlich erprobtes Geschäft pönalisieren?

Ja, dieser eindeutige Wille des Gesetzgebers war bereits vor sieben Jahren bekannt!

Haben das die bayerische und thüringische Justiz nicht gewusst? Können als mit den Ermittlungen betraute Personen der Generalstaatsanwaltschaft und des Oberlandesgerichts keine Gesetzestexte mehr lesen? Sind Ihnen die juristischen Auslegungsmethoden nicht mehr bekannt?

Wir kennen das vorübergehende Ende: Im September 2021 wurden die Ermittlungen eingestellt und der Vermögensarrest freigegeben, wie in Bayern, so auch in Thüringen.

Die Fehler sind markant und häufig: Erst das Ermittlungsverfahren nach § 108e StGB einleiten. Dann Durchsuchungsbeschlüsse beantragen und erlassen sowie die Durchsuchungen medienwirksam umsetzen. Den Vermögensarrest beantragen, erlassen und umsetzen.

Das Ermittlungsverfahren einzustellen, war kein wirklicher Fehler: Aber der Anfangsverdacht des Betruges wäre wohl weiter zu verfolgen gewesen. Den Vermögensarrest hätte man nicht freigeben müssen, denn beim Betrug ist der gleiche Schaden entstanden.

Was steckte nun eigentlich hinter den Handlungen von Mark Hauptmann in der Maskenaffäre? Man kann es recht einfach beschreiben: Er hat während der Hochphase der Corona-Pandemie den Kauf von Masken vermittelt und dafür eine Provision im hohen sechsstelligen Bereich erhalten. Dem Vernehmen nach soll Hauptmann mehrere Beraterfirmen betreiben. So ist er seit 2020 bis heute Geschäftsführer der HGC – Hauptmann Global Consult GmbH in Zossen. Dieser normal erscheinende Vorgang wird suspekt, wenn der Vermittler bestreitet, eine Provision bekommen zu haben. Damit erscheint auch sicher, dass der Verkäufer dem Käufer keinen entsprechenden Posten in das Angebot geschrieben hat und auch auf der Rechnung davon nichts zu finden ist. Das ist eine klassische Täuschung im Rechtsverkehr, bei dem über den tatsächlichen Wert der Waren – hier der Masken – getäuscht wird, denn der Provisionsbetrag wird, wie auch bei Korruptionsstraftaten üblich, vom „Geber“, sprich: vom Verkäufer, einfach draufgeschlagen. Das nennt man klassisch Betrug.

Apropos Beraterfirma: Zossen? Ach ja, das ist die Stadt, welche bundesweit mit dem niedrigsten Gewerbesteuersatz bekannt wurde. Steuervermeidung nennt man das in gewissen Kreisen. Und wie Markus Ermert und Sebastian Haak recherchierten: dem Anschein nach eher eine Briefkastenfirma.

Und der Gegenstand der Gesellschaft: Natürlich Unternehmensberatung, weltweiter Im- und Exporthandel im In- und Ausland, insbesondere von Umwelttechnik, Immobilienerwerb und -vermarktung, Vermittlung von Aufträgen, Service und Dienstleistungen, insbesondere im Bereich der Umwelttechnik. Ach so.

Noch mal zu Hauptmanns Bilderbuchkarriere: Abitur – Studium – Junge Union – Stipendiat der Adenauerstiftung – Mitarbeiter eines Thüringer CDU-Bundestagsabgeordneten – selbst Mitglied im Deutschen Bundestag, nebenbei einheimischer Stadtrat. Berufserfahrung in der Wirtschaft: Null!

Woher kommt die Beraterkompetenz? In solchen Fällen ist diese Kompetenz gar nicht gefragt! Es sind die politischen Kontakte, die Seilschaften, die Nähe zu tatsächlicher und vermeintlicher Macht, die gefragt sind und die von nicht Wenigen angeboten werden. Geboten, gegen Beraterhonorare, Provisionen, Darlehen, die nicht zurückgezahlt werden und sonstige Vergünstigungen…

Und wie heißt es so schön im besten Abgeordneten-Deutsch: „Vorkommnisse und Berichte über Mitglieder des Deutschen Bundestages, die mit Beratertätigkeiten persönliche Gewinne im Zusammenhang mit der Beschaffung von medizinischen Produkten erzielten“ […] sind „unter abgeordnetenrechtlichen Gesichtspunkten bisher rechtlich zulässig“.

Und, wars das? Nein: Der Bundesgesetzgeber hat § 108e StGB verändert! Jedoch nicht dessen Tatbestand. Man hat ihn in den Stand eines Verbrechens mit einer grundsätzlichen Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr (zuvor: Geldstrafe) bis zu einer Höchststrafe von zehn Jahren (zuvor fünf Jahre) erhoben. Na, wenn das keine symbolische Gesetzgebung ist!

Transparency Deutschland hat übrigens Ende 2022 ein Positionspapier zur Verschärfung von § 108e StGB unterbreitet, dem die Politik bisher wenig Beachtung schenkte.

Und der Preis? Diejenigen, die Vergünstigungen, egal, welcher Art, bieten, tun dies nicht aus reinster Menschenliebe – sie wollen immer etwas! Meist wollen sie Einfluss, die Möglichkeit,  Entscheidungen der Exekutive und/oder Legislative in ihren Sinn zu gestalten. Den materiellen Schaden trägt der Steuerzahler, den größten moralischen Schaden die Demokratie!

Und warum erfolgte eine massive Strafverfolgung, obwohl es sie gar nicht geben durfte? Was bedeutet eigentlich, eine Strafverfolgung durchzuführen, obwohl es dafür keine rechtliche Grundlage gibt? Verfolgung Unschuldiger? Falsche Verdächtigung? Rechtsbeugung?

Und warum? Für Thüringen kann das sehr einfach sein: Weil es Bayern auch so machte! Wirklich? Eher nein. War der mediale Druck, die öffentliche Empörung, das Ausmaß des Skandals so groß, dass es unausweichlich eine rechtswidrige Strafverfolgung geben musste? Das muss hier naturgemäß offenbleiben.

Schlimm wäre, wenn die bei StaatsanwältInnen nicht selten anzutreffende Auffassung ausschlaggebend war, frei nach dem Motto: Zu diesem Straftatbestand gibt es noch keine obergerichtliche Rechtssprechung! Lassen wir es mal darauf ankommen. Danach sind wir schlauer. Das Oberlandesgerichte unfehlbar sind, glaubt man doch wohl noch nicht einmal bei einer Generalstaatsanwaltschaft. Oder?

Denn man bedenke den Schaden! Zuerst sind da die Grundrechte der zu Unrecht Beschuldigten. Ebenso schwer wiegt der Schaden, welcher durch die eingeschränkte Zuverlässigkeit und Integrität der Rechtsordnung entstand. Obwohl, gibt es da nicht nur einige, die denken: Naja, so schlimm ist es schon nicht gewesen. Und wirklich die Falschen hat es ja nicht getroffen! In einer meiner letzten Gerichtsreportagen hatte ich unter anderen über “Wehret den Anfängen!” geschrieben. Also: Wehret den Anfängen!

Kann man diesen Schaden heilen? Vielleicht durch eine konsequente Strafverfolgung der vermeintlichen Straftaten. Zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfolgbare Straftaten liegen wohl vor, oder?

Und was hat das mit dem Vergewaltigungsvorwurf gegen Hauptmann zu tun? Auch hier scheint es mit dem Rechtsstaat nicht besonders gut bestellt. Die Tat soll im Juli 2019 begangen worden sein. Drei Jahre ist wohl nichts geschehen. Schlimmer. Eine Vorgesetzte soll dem Opfer geraten haben, nichts weiter zu unternehmen. Erst ein Jahr nach der Tat soll das Auswärtige Amt vom Vorwurf erfahren haben. Da war viel Zeit zum Reagieren. Aber erst im März dieses Jahres soll das Opfer dazu von der Staatsanwaltschaft befragt worden sein.

Da ist viel Platz zum Wundern. Was auf jeden Fall fehlt, ist eine Reaktion des Auswärtigen Amtes. Außenministerin Baerbock war erst kürzlich in Japan zum G-7- Außenministertreffen.

Bleibt zu hoffen, dass wenigstens intern etwas geschah. Zum Beispiel die Eröffnung eines Disziplinarverfahrens gegen den Vorgesetzten, welcher geraten hatte, nichts zu tun.

Die Staatsanwaltschaft Meiningen hat Mark Hauptmann wegen Steuerhinterziehung Ende letzten Jahres Anklage erhoben, davon aber später, vielleicht  in einer Gerichtsreportage.

A.S.

21.04.2023