Richter Marcus Winkler verhandelte als Strafrichter am 18. November 2019 ab 13:00 Uhr wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und falscher Verdächtigung gegen den 34jährigen Ibrahim B., die Anklage wurde von Staatsanwalt Maik Hübner vertreten. Bevor die Anklage verlesen wurde, fragte der Richter nach dem geladenen Zeugen Georgi W. – er war ohne Entschuldigung nicht erschienen. Dem Angeklagten, er war ohne einen Verteidiger gekommen, wurde vorgeworfen, im September 2018 seinen PKW VW geführt zu haben, ohne in Besitz einer Fahrerlaubnis zu sein. Im Speziellen warf ihm die Anklage vor, ein Kraftfahrzeug geführt zu haben, obwohl ihm das Führen des Fahrzeugs nach Paragraf 25 des Straßenverkehrsgesetzes verboten war – gegen ihn galt zum Zeitpunkt dieser Fahrt ein Fahrverbot.
Die Strafandrohung beträgt für dieses Delikt eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe. Der Sinn und Zweck des Fahrverbots besteht darin, einem Fahrzeugführer oder einer Fahrzeugführerin, die ihre oder seine Pflichten im Straßenverkehr grob oder beharrlich verletzt hat, deutlich zu machen, dass das gezeigte Verhalten die Sicherheit im Straßenverkehr gefährdet hat. Das Fahrverbot ist dazu gedacht, auf die betroffene Person erzieherisch einzuwirken und künftig zu größerer Verkehrsdisziplin anzuhalten. Die gesetzgeberische Intention ist in erster Linie die erzieherische Funktion, sie ist als Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme gedacht und ausgebaut (vgl. Bundestagsdrucksache V/1319, S. 90). Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung bedarf es bei der Festsetzung eines Fahrverbotes keiner näheren Feststellung, dass der durch das Fahrverbot angestrebte Erfolg mit einer erhöhten Geldbuße nicht erreicht werden kann. Der betroffenen Person ist es grundsätzlich zuzumuten, die damit verbundenen Einschränkungen der persönlichen Bewegungsfreiheit und etwaige finanzielle Nachteile hinzunehmen.
Warum konkret der Angeklagte ein Fahrverbot erhalten hatte, ging aus der öffentlichen Hauptverhandlung nicht hervor. Jedoch war es nicht das erste Mal, dass gegen ihn ein Fahrverbot verhängt wurde. Und nicht das erste Mal, dass er dagegen verstoßen hatte. Sein Bundeszentralregisterauszug enthält zwei Eintragen wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis trotz Fahrverbot.
Staatsanwalt Hübner schildert in seiner Anklage kurz die Sachlage: Der Angeklagte soll mit seinem PKW die Autobahn A 71 Höhe Behringen in Richtung Schweinfurt befahren haben und dort wegen Verstoßes gegen den Mindestabstand „geblitzt“ worden sein. Die Zentrale Bußgeldstelle in Artern schicke ihn wegen dieser Verkehrsordnungswidrigkeit einen sogenannten Anhörbogen. Darauf gab er wider besseres Wissen an, nicht gefahren zu sein, sondern nannte einen Wassili G. als Fahrer. Das letztgenannte ist strafbare als falsche Verdächtigung gemäß Paragraf 164 Strafgesetzbuch.
Richter Winkler, noch sehr jung, belehrte den Angeklagten und fragte, ob er sich äußern wolle. Es war nicht wirklich sicher, ob Ibrahim B., ein in Erfurt wohnender türkischer Staatsbürger, alles verstanden hatte. Er sprach nicht besonders gut Deutsch, redete aber sehr schnell, was die Verständigung nicht einfacher machte. Der Richter fragte, ob er gefahren sei. Der Angeklagte verneinte, worauf der Richter ihn zusammen mit dem Staatsanwalt zum Richtertisch bat. Er hielt den Angeklagten ein Foto aus der Akte vor, ganz offensichtlich das Foto der Abstandsmessung. Richter Winkler: „Sind sie das?“ Der Angeklagte: „Sieht aus wie ich, könnte aber auch der Georgi W. sein, der sieht auch so aus wie ich.“
Staatsanwalt Hübner, trocken und humorlos: „Hier in der Akte ist auch ein Foto von Georgi W., wenn man das Foto von ihm mit dem anderen Foto vergleicht, sieht man, dass es nicht die gleiche Person ist. Vielmehr sieht das Blitzfoto Ihnen sehr ähnlich. Wir können aber zu den beiden Fotos ein anthropologisches Gutachten beauftragen, dass kostet ein paar Tausend Euro…“
Daraufhin räumte der Angeklagte ein, doch gefahren zu sein. Jedoch, so sagte er, habe er das Foto nicht bekommen. Er meinte damit das Beweisfoto zum Abstandsverstoß. Das war jedoch in der Verhandlung irrelevant, er wiederholte es aber im Verlaufe der Hauptverhandlung noch mehrmals: „Ich hab kein Foto bekommen, nur die Strafe…“. Beim Zuschauer blieben Zweifel, ob der Angeklagte das deutsche Rechtssystem verstanden hatte. Obwohl er die Tat bereits eingeräumt hatte, sagte er dann „Ich erinnere mich gar nicht, dass ich das Auto gefahren habe.“ Der Richter darauf: „Aber an das Fahrverbot erinnern Sie sich?“ – „Ja.“
Richter Winkler wirkte bei dieser sehr einfachen Sachlage unsicher und überfordert, mehrfach musste die Justizprotokollantin auf kleinere Fehler hinweisen. Diese sehr erfahrene Beamtin lenkte ihn dezent und kompensierte seine unschlüssige Verhandlungsführung. Ihr und insbesondere Staatsanwalt Hübner war es zu danken, dass die Verhandlung letztlich erfolgreich verlief. Denn der Angeklagte versuchte, sein Handeln zu relativieren: „Vielleicht hatte ich den Führerschein noch nicht abgegeben und geglaubt, dass das Fahrverbot erst gilt, wenn ich den Führerschein abgebe.“ Dies verneinte der Staatsanwalt mit wenigen Zitaten aus der Akte und gab den rechtlichen Hinweis, dass auch eine Strafe nach Paragraf 44 Straßenverkehrsgesetz (Fahrverbot) möglich sein.
Darauf der Angeklagte: „Seit gestern ist das Fahrverbot vorbei. Ich wollte jetzt die MPU-Prüfung machen.“ Dann fragte er nach: „Geht es jetzt nicht, dass ich Geld bezahle?“ Staatsanwalt Hübner schlug in der Akte nach: „Die Verwaltungsbehörde hat Ihnen die Fahrerlaubnis unbefristet entzogen, weil sie in Flensburg zu viele Punkte hatten!“
Richter Winkler fragte nach, warum der Angeklagte auf den Anhörbogen angegeben hatte, dass der Georgi W. gefahren sei: „Es hätte doch gereicht, Sie hätten geschrieben, Sie seien nicht gefahren!“ Für solche Feinheiten war der Angeklagte nicht empfänglich: „Er hat doch oft mein Auto gefahren!“
Der Anklagevertreter beantragte für das Fahren ohne Fahrerlaubnis die Verurteilung zu 80 Tagessätzen, das gleiche für die falsche Verdächtigung, sodass er eine Gesamtstrafe von 120 Tagessätzen zu a 30 Euro forderte. Auf die Verhängung Fahrverbot verzichtete er, da der Angeklagte keine Fahrerlaubnis besitzt und diese so schnell auch nicht bekommt. Gegen den nicht erschienenen Zeugen beantragte er ein Ordnungsgeld in Höhe von 150 Euro. Richter Winkler fragte nach: „Und das, obwohl wir ihn nicht brauchten?“ Der Staatsanwalt erwiderte: „Ich kann das nicht leiden, wenn Zeugen einfach nicht erscheinen.“
Der Richter zog sich zwanzig Minuten zurück und verkündete dann das Urteil, wie es vom Staatsanwalt beantragt wurde.
Bei dieser klaren Sach- und Beweislage hat die Hauptverhandlung eineinhalb Stunden gedauert. Die extreme Unsicherheit des Richters konnte glücklicherweise kompensiert werden. Es fehlt die Phantasie, wie sich dieser junge Richter bei einem komplizierten Sachverhalt verhält. Neben einen schwierigen Grundsachverhalt könnte auch eine kompetente Verteidigung den Strafrichter in Schwierigkeiten bringen…
Demnächst werde ich eine weitere Verhandlung von Richter Marcus Winkler besuchen, vielleicht hatte er auch nur einen schlechten Tag.
(18.11.2019 – 13:00 Uhr, Amtsgericht Arnstadt, Saal E 210)