Am besten ist das Gefühl mit Wehmut zu umschreiben, sieht man das alt ehrwürdige ehemalige Landgericht in Weimar in der Carl-von-Ossietzky-Straße. Diese Gebäude mit seiner wechselvollen Geschichte wird seit Jahren nur noch durch das Amtsgericht Weimar genutzt, viele Räume stehen leer, seit die Weimarer Polizeiinspektion auszog. Die in der Mitte der neunziger Jahre aufwändig umgebaute Strafvollzugseinrichtung, zuletzt als Jugendarrestanstalt betrieben, ist ungenutzt. Ob ein Nachnutzungskonzept vorliegt, steht in den Sternen. Der ehemalige große Schöffensaal, viele Jahre als „provisorischer“ Umkleide- und Spindraum von der Polizei missbraucht, ist in Zeiten, in denen von der Erfurter Justiz große Verhandlungssäle gesucht werden, ungenutzt …
Umso enger geht es in den Räumen des Amtsgerichtes zu. Glücklicherweise wechselte man zumindest zeitweise zur anstehenden Verhandlung vom kleinsten Raum in einen etwas größeren, da es doch mehrere Zuhörer gab.
Es mag Außenstehenden wie eine Obsession erscheinen, wenn innerhalb von einem Jahr das dritte Mal von einer Verhandlung gegen denselben Angeklagten berichtet wird, ist es aber mitnichten. Ja, vor fast genau einem Jahr begann vor dem Schöffengericht des Amtsgerichts Weimar das Verfahren gegen Tino M., einem (noch) Polizeikommissar der Polizeiinspektion Weimar. Nach vier Verhandlungstagen wurde er damals wegen des Verrates von Dienstgeheimnissen und Bestechlichkeit zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren ohne Bewährung verurteilt.
Die Berufsverhandlung vor dem Erfurter Landgericht fand am 15. November 2021 statt, dass Weimarer Urteil wurde aufgehoben, er wurde zu einer auf Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Schon bei dieser Berufungsverhandlung wurde auf diese nächste Verhandlung hingewiesen. Neugierig machten die Tatvorwürfe, sodass eine erneute Gerichtsreportage quasi in der Luft lag, denn Tino M. sollte wegen vorsätzlicher Körperverletzung und wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen angeklagt werden.
Verhandelt wurde vor dem Strafrichter des Amtsgerichts Weimar. Der sehr erfahrene und allseits anerkannte Richter Karl-Heinrich Götz eröffnete auch ruhig die Verhandlung, obschon er wohl ahnte, dass es auch turbulent zugehen könnte. Dafür sprach der Verteidiger des Angeklagten, Rechtsanwalt Böttcher. Er steht in dem Ruf, jenseits von professioneller Verteidigung für provozierenden Krawall zu sorgen. Die Anklage vertrat Staatsanwalt Julius Lötsch von der Staatsanwaltschaft Erfurt. Als Nebenklageverteidiger fungierte Rechtsanwalt Alexander Dann, er vertrat die ebenfalls anwesende Geschädigte, Frau Andrea S., die stellvertretende Filialleiterin eines Einkaufsmarktes in Weimar.
Richter Götz erhob eingangs die Personalien des 43jährigen Angeklagten, der angab, verheiratet zu sein und „noch“ von seinem (bereits reduziertem) Gehalt von 3.000 € (als suspendierter Polizeikommissar) zu leben. Er habe drei Kinder, die im gemeinsamen Haushalt lebten. Hier muss angemerkt werden, dass er bei der Berufungsverhandlung vor dem Landgericht Erfurt angegeben hatte, von seiner Ehefrau getrennt zu leben und sie sich scheiden lassen wollen. Schon im Herbst erschien dies unglaubhaft und es verwunderte, dass der Vorsitzende Richter dies ohne jedwede Rückfrage als strafmildern akzeptierte. Von Trennung und von Scheidung war hier nicht mehr die Rede.
Staatsanwalt Lötsch verlas einen Strafbefehl vom 10. Mai 2021. Aus welchen Gründen dieser keine Rechtskraft erlangte, wurde nicht erwähnt. Die Tatvorwürfe liegen bereits über ein Jahr zurück: Am 26. Oktober 2010 betrat der Angeklagte gegen 12:10 Uhr einen Einkaufsmarkt in der Rießnerstraße in Weimar ohne den vorgeschriebenen Mund-Nase-Schutz und ohne den ebenfalls vorgeschriebenen Einkaufskorb. Er wurde von der stellvertretenden Filialleiterin angesprochen und aufgefordert, sowohl einen Mund-Nasen-Schutz aufzusetzen als auch den Einkaufskorb zu benutzen. Da er dies nicht tat, erteilte sie im Hausverbot und forderte ihn auf, die Filiale zu verlassen. Der Angeklagte begann hingegen, mit seinem Handy den Vorgang zu filmen, packte die Mitarbeiterin des Einkaufsmarktes am Arm, wovon sie blaue Flecke am Oberarm bekam. Es handelte sich, so Staatsanwalt Lötsch, um eine vorsätzliche Körperverletzung, tateinheitlich mit Hausfriedensbruch.
Als weitere Tat warf er den Angeklagten vor, auf seinen Facebook-Account ein Bild mit einem Mund-Nasen-Schutz, auf welchen großflächig ein Hakenkreuz abgebildet war sowie ein weiteres Hakenkreuz gepostet zu haben. Dabei handelt es sich um eine Straftat gemäß Paragraph 86a StGB, dem Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen.
Richter Götz erteilte dem Verteidiger das Wort. Rechtsanwalt Böttcher: „Ich hatte es ja schon vorm Landgericht gesagt, ich würde die Revision zurücknehmen, wenn hier über 154 nachgedacht wird.“ Er meinte die Einstellung des Verfahrens. Böttcher weiter: „Die Angelegenheit war ganz anders. Mein Mandant hat ein Video aufgenommen, da wird gezeigt, dass es ganz anders war. Er ist angegriffen worden, er ist von Frau S. geschubst worden, er hat die Polizei selbst angerufen, wollte selbst Anzeige erstatten, hat dann aber davon abgesehen. Und das mit dem Hakenkreuz und den Judenstern war aus dem Zusammenhang gerissen. Es war Satire, da war ein Kästner-Zitat dabei. Das war Kunst und Satire. Und die Staatsanwaltschaft hat die Revision beim Landgericht schon zurückgenommen, das war so vereinbart.“ Abgesehen von der Sprunghaftigkeit seiner Äußerungen behauptete der Verteidiger auch unwidersprochen Absprachen, die in der Berufungsverhandlung vor dem Landgericht so nicht getroffen worden – und so nicht getroffen werden durften! Er hatte vor dem Landgericht sein zukünftiges Agieren vor Gericht monologisiert, mehr nicht.
Staatsanwalt Lötsch reagierte gelassen: „Das mit dem Judenstern ist hier nicht angeklagt. Und 154 kommt für mich gar nicht in Frage!“
Rechtsanwalt Böttcher: „Da habe ich kein Problem damit, da stelle ich den Antrag, das Video anzuschauen!“
Richter Götz fragte, ob sie eine CD dazu hätten und was vorbereitet werden muss. Der Angeklagte reagierte, wie es seine Art ist: „Hä, ’ne CD?“ und lachte dabei höhnisch. Das war selbst seinen Verteidiger zu heftig: „Mein Mandant war im Ausland und hat das Video nur auf dem Handy.“ Das war natürlich eine Unverschämtheit von Böttcher, denn die Tat lag über ein Jahr zurück und das Handyvideo war ja am Tattag entstanden. Es war seither wirklich genügend Zeit, dieses Video dem Gericht, gegebenenfalls mit Beweisantrag, zur Verfügung zu stellen, zumindest aber, es in einem Format in die Hauptverhandlung einzubringen, dass es ohne Umstände auch von allen gleichzeitg angesehen werden konnte. Das war von der Verteidigung ganz offensichtlich nicht gewollt. Eher wollte man das Gericht und die Staatsanwaltschaft überrumpeln und eventuell die Verhandlung verschleppen. Nunja, das Gericht ließ es durchgehen – letztlich war es auch gut so.
Der Angeklagte reichte sein Handy an den Verteidiger weiter und dieser gab es zuerst den Richter, anschließend sahen sich dieses Video Staatsanwalt Lötsch und zum Schluss der Nebenklägeranwalt an. Das Video dauerte ca. 5 Minuten, für die anderen Anwesenden war nur der laute Ton zu hören. Man hörte zweifelsfrei den Angeklagten Tino M. sehr laut: Er rief unbeherrscht und überdreht: „Sagen Sie das Gesetz! – Sagen Sie das Gesetz! – Sagen Sie das Gesetz!“ und nach einer kleinen Pause stimmlich sich weiter steigernd: „Zeigen Sie das Gesetz! – Zeigen Sie das Gesetz! – Zeigen Sie das Gesetz!“ Dann hörte man ihn deutlich und eher süffisant sagen: „Frau S… schubst die Kunden umher.“ Nach einer kurzen Pause: „Völlig behindert, völlig behindert.“ Und dann sarkastisch: „Was ein Staat mit den Menschen machen kann – wunderbar.“
Nachdem der Staatsanwalt das Video gesehen hatte, sagte er: „Das ist auf jeden Fall kein schnelles Gehen nach den Auffordern. Ich sehe hier kein Problem, den Hausfriedensbruch zu bejahen.“ An den Angeklagten gewandt: „Was haben Sie gemacht, bevor es zu dieser Szene kam?“ Rechtsanwalt Böttcher antwortete: „Er wollte einen Ordner kaufen.“ Staatsanwalt Lötsch: „Was ist vorher passiert?“
Der Angeklagte, gereizt und aggressiv zum Staatsanwalt: „Ich weiß nicht, welchen Auftrag Sie haben!“ Der Staatsanwalt blieb sehr ruhig und sagte entspannt nur ein Wort: „Strafverfolgung.“
Böttcher: „Mein Mandant will einfach seine Ruhe haben, er will weg, ins Ausland.“ Der Staatsanwalt, weiterhin ruhig und besonnen: „Ich schlage vor, wir sehen uns das Video in groß an. So sagte jeder, was er gesehen haben will, und wenn wir es uns gemeinsam ansehen, können wir es anhalten, wenn es strittig wird und uns damit auseinandersetzen.“ Der Verteidiger reagierte emotional, der Vorschlag war wohl nicht in seinem Sinne, er wollte ja eine Einstellung ohne genaue Tatsachenaufklärung: „Ich weiß, Sie wollen keine Einstellung. Überall werden Hakenkreuze und Judensterne gezeigt, in ARD und ZDF und so, und dass ist Kunst und das ist Satire, und niemand zeigt es an.“ Der Staatsanwalt erwiderte, dass er alles, was Hakenkreuze und Judensterne betrifft, anklagt, weil diese Symbole aus gutem Grund aus der Gesellschaft verbannt werden müssen.
Zwischenzeitlich hatte Richter Götz den Angeklagten mehrfach aufgefordert, seinen Mund-Nasen-Schutz auch über die Nase zu ziehen…
Alsdann wurde die 53jährige stellvertretende Filialleiterin als Zeugin vernommen. Der Verteidiger forderte das Gericht auf, sie insbesondere auch nach Paragraph 55 StPO zu belehren. Seine Position war ja, dass sie seinen Mandanten angegriffen hatte.
Hier wird ganz bewusst auf eine detaillierte Beschreibung der Zeugenvernehmung verzichtet. Der Verteidiger hat diese Vernehmung dazu genutzt, diese Zeugin stark unter Druck zu setzen, sie zu verunsichern, mit Strafverfolgung zu drohen und sie kränkend zu verletzen. Leider stand ihr der Anwalt der Nebenklage da nicht bei. Sie schilderte – sehr aufgeregt – den Sachverhalt so, wie in der Anklage beschrieben. Die Vernehmung hatte aber auch eine sehr positive Seite: Sie schilderte, dass die Auseinandersetzung mit dem Angeklagten in zwei Phasen ablief, die erste Phase, nachdem er das Geschäft betreten hatte, sie aufforderte, sich richtig zu verhalten und dann das Hausverbot aussprach und in dessen unmittelbare Folge es zu dem körperlichen Angriff kam. Dann ging der Angeklagte hinaus und kam – wieder ohne Korb und Maske, ins Geschäft zurück und filmte mit der Handykamera.
Der Verteidiger tat dies ungläubig ab und auch der Angeklagte bestritt theatralisch, das Geschäft zwei Mal betreten zu haben. Dem Verteidiger schwante hier noch nicht, dass auch er vom Angeklagten belogen wurde.
Deutlich wurde bei der Zeugenaussage, wie schwer es das Verkaufspersonal mit bestimmten Personen hat, die Coronamaßnahmen durchzusetzen. Sie sagte, dass es täglich zu Auseinandersetzungen mit Kunden komme und dass sie selbst die Nase voll davon habe.
Da war es eine Wohltat, den nächsten Zeugen zuzuhören. Der 56jährige Kfz.-Mechatronik-Ausbilder Silvio R. kam ganz offensichtlich von seiner Arbeitsstelle, unter seiner Jacke trug er noch die Berufsbekleidung. Er schilderte ruhig und sachlich seine Beobachtungen und Wahrnehmungen, trennte genau, was er davon nur gehört und was er gehört und gesehen hatte, denn das Geschehen spielte sich zwei Regalreihen von ihm entfernt ab. Er bestätigte die Angaben der Anklage im vollen Umfang. Durch seine geerdete Art hinterließ er einen starken Eindruck. Er bestätigte auch, dass der Angeklagte nach der Auseinandersetzung aus dem Geschäft hinausging und anschießend wieder zurückkam und anfing, zu filmen. Er hatte sich selbst als Kunde der stellvertretenden Filialleiterin als Zeuge angeboten und seine Personalien bei ihr hinterlassen. Der Zeuge beeindruckte auch, weil er mit einfachen und verständlichen Worten ausdrückte, was er meinte: „Der Herr hat sich aufgespielt, ohne Maske, in dieser schwierigen Zeit, und macht der Verkäuferin, die kein leichtes Job hat, das Leben schwer. Einen Ordner kaufen, das dauert dort fünf Minuten, das ganze Theater hat 15 Minuten gedauert und nur Ärger gebracht. Ganz einfach: Maske aufsetzen, rein, Korb nehmen, Ordner holen, bezahlen und wieder raus. Das war ja noch zu einer Zeit, da waren noch nicht viele geimpft.“
Als er sich der Zeugin zur Verfügung stellte, hat sie ihm auch die blauen Flecken am Arm gezeigt. Richter Götz bat im zum Richtertisch und zeigte im Bilder von diesen Verletzungen der Zeugin und er bestätigte, dass er das auch so gesehen hatte. Auf Antrag des Nebenklageanwalts schaute sich auch dieser Zeuge das Video an und bestätigte, dass diese Aufnahmen nach dem eigentlichen Vorfall aufgenommen wurden, als der Angeklagte zum zweiten Mal den Laden betreten hatte. Beim ersten Betreten des Geschäftes hatte der Angeklagte nicht gefilmt.
Böswillig kann man schlußfolgern, Tino M. hat bewusst ein dem Gericht vorgelegtes Beweismittel nach der eigentlich Tat hergestellt, um es im Fall der Fälle zu seiner Entlastung sowie zur Belastung der Verkäuferin aus dem Hut zu zaubern. Was nicht vergessen werden darf: Tino M. und sein Anwalt hatten die Zeugin beschuldigt, ihn angegriffen zu haben. Da dürfte zumindest eine falsche Verdächtigung zu prüfen sein.
Es wurde abschließend der Auszubildende dieses Einkaufsmarktes als Zeuge gehört, neue Erkenntnisse brachte dies aber nicht.
Es waren noch zwei Polizeibeamte als Zeugen geladen, aber nach Rückfrage bei den Beteiligten wurden sie nicht mehr gehört. Einer der Polizeibeamten kam vom Dezernat Cybercrime des Landeskriminalamtes. Er hätte zur Datensicherung der Bilder des Facebook-Accounts etwas sagen können, aber der Angeklagte hatte ja eingeräumt, dass er diese Bilder gepostet hatte.
Richter Götz dachte laut über das weitere Verfahren nach, da sich ja wegen des Videos ein Fortsetzungstermin nötig mache. Er unterbreitete mehrere Terminvorschläge, so am 26.01. und 09.02.2022. Rechtsanwalt Böttcher erklärte, dass sein Mandant am 27.01.2022 nach Panama fliegt, er müsse sich um eine Arbeit kümmern. Ihm selbst passen die Termine nicht, wie er nach einem langwierigen Telefonat mit seinem Büro feststellte. Staatsanwalt Lötsch fragte den Angelagten nach den Bewährungsauflagen durch das Landgericht. Tino M.: „Nur das Anzeigen des Wohnortwechsels, mehr nicht.“ Das Gericht legte fest, dass der nächste Termin von Amts wegen ergehen würde.
Eigentlich, so Richter Götz, hätte er eine pragmatische Lösung gewollt. So hätte er sich vorstellen können, die vorsätzliche Körperverletzung und den Hausfriedensbruch nach Paragraph 153 a StPO in Verbindung mit einer Geldauflage von 200 € einzustellen oder gegebenenfalls eine Teileinstellung gemäß Paragraph 154 StPO, wenn der Staatsanwalt mit mache und der Angeklagte alle Auslagen tragen müsse.
Dem widersprach der Staatsanwalt sofort: „Keine Einstellung, und wenn, 3.000 €!“ Die diesbezügliche Reaktion von Rechtsanwalt Böttcher stand in keinem Verhältnis zur Sachlage und entsprach nicht einem Vertreter eines unabhängigen Organs der Rechtspflege. Da die Erwartungshaltung zu Äußerungen des Angeklagten und seines Verteidigers eh gering waren, überraschten höhnisch-sarkastische Bemerkungen und Gesten nicht mehr.
Der Richter entschied: „Dann wird die Körperverletzung und der Hausfriedensbruch abgetrennt! Diesbezüglich ergeht von Amts wegen ein neuer Termin. Jetzt haben wir nur noch das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.“ Er verlas den Auszug aus dem Bundeszentralregister – ohne Eintragungen, da das Urteil des Landgerichts Erfurt noch nicht rechtskräftig ist.
Die Beweisaufnahme in dieser Sache wurde abgeschlossen und Staatsanwalt Lötsch plädierte kurz und knapp. Er stellt fest, dass der Facebook-Post – die beiden Abbildung mit einem Hakenkreuz – strafbar seien, auch wenn der Angeklagte und der Verteidiger es als Satire und Kunst empfinden: „Wo man da auch immer Satire oder Kunst sehen kann, mir erschließt sich das nicht. Ich bin gegenteiliger Meinung. Und da reicht ein Blick in den Tatbestand des Paragraphen 86a.“ Er zitierte den Gesetzestext und argumentierte juristisch die ständige Rechtsprechung. Und zum Angeklagten gewandt: „Sie können hier zur Corona-Politik und zum Tragen von Masken alles sagen, niemand verbietet Ihnen eine Meinungsäußerung, aber Sie dürfen keine NS-Symbole verwenden. Schon der Normzweck will die Alltagstauglichkeit von NS-Symbolen verhindern. Da der Angeklagte völlig uneinsichtig ist, bedarf es einer besonderen Einflussnahme, besonders, da er als Landesbediensteter ein gewisse Zurückhaltungspflicht einzuhalten habe.“ Der Staatsanwalt beantragte eine Freiheitsstrafe von fünf Monaten, da ihm eine Geldstrafe nicht beeindrucken würde, anders würde man an ihn nicht herankommen. Die Strafe könnte auf drei Jahre Bewährung ausgesetzt werden. Und, an den Angeklagten gewandt, der wieder höhnisch lachte: „Das sieht man daran, dass der Angeklagte immer noch lacht!“
Der Verteidiger, der sich ebenfalls bei den Worten des Staatsanwalts ungebührlich verhielt, erwiderte: „Tut mir leid, dass ich gelacht habe, demnächst wird hier auch noch die Todesstrafe beantragt.“ Das hatte man schon mal bei einer Verhandlung von ihm gehört; sein Repertoire scheint eng begrenzt. Das weitere Geschrubel des Verteidigers erspare ich mir hier, es war juristisch nichts Substanzielles dabei. Er beklagte sich bitter, dass die Absprachen, welche seiner Meinung nach bei der Berufungsverhandlung am Landgericht getroffen, nicht eingehalten wurden und er von nun an keine Absprachen mehr mit der Staatsanwaltschaft Erfurt machen würde. Es passte zu seiner Weltsicht, zu seinem sonstigen populistischen Auftreten und – er passte irgendwie auch zu seinem Mandanten. Die letzten Worte des Verteidigers, an den Staatsanwalt gerichtet, seien jedoch zitiert: „Ich weiß ja nicht, welchen Auftrag Sie haben. Und ob Sie wegen der Prozeßbeobachterin da hinten ein besonderes Strafmaß fordern…“
Richter Götz erteilte dem Angeklagten das letzte Wort, das er auch nutzte: „Ich bin jetzt auch vom Landgericht enttäuscht, mein Anwalt hat mir geraten, nicht mehr zu sagen.“
Nach einer kurzen Pause verkündete der Richter das Urteil: 40 Tagessätze á 40 €. Er begründete, dass die Handlung des Angeklagten weder durch die Meinungsfreiheit gedeckt sein, noch als Kunst zu betrachten seien. Bei der Strafzumessung sei aber der Ausspruch einer Freiheitsstrafe gemäß Paragraph 47 Strafgesetzbuch nicht angebracht. Zu Gunsten des Angeklagten sei zu würdigen, dass er nicht vorbestraft sei und nicht der rechten Szene zuzuordnen sei. Durch das Einräumen, dass der Post von ihm stamme, habe er die Beweisaufnahme vereinfacht. Zu seinen Ungunsten wertete der Richter, dass er „leider keine Reue gezeigt habe“. Er fasste zusammen: „Das Hakenkreuz hat hier nichts zu suchen!“ Dass der Angeklagte die Kosten des Verfahrens trägt, sei nur am Rande erwähnt.
Das es zur Gesinnung des Tino M. auch andere Meinungen gibt, ist nicht ausschlaggebend. Es wäre eeine Aufgabe in der öffentlichen Hauptverhandlung gewesen, festzustellen, ob die Tathandlung politisch motiviert war. Die fehlende Beweisaufnahme zum Tatvorwurf wegen des Verwendens verfassungswidriger Organisationen hat sich so als sehr nachteilig erwiesen. Obwohl die Motivation für das Erfüllen des Tatbestandes, wie auch der Staatsanwalt ausführte, unerheblich ist, wären ernsthafte Ermittlungen zur Täterpersönlichkeit des Tino M. sicherlich bei einer Beweisaufnahme nicht zu dem Ergebnis gekommen, welches Richter Götz zusammenfasste. Dies hat wohl bereits die Polizei versäumt, von der Staatsanwaltschaft ist es nicht geheilt worden. Leider.
(19.01.2022 – 09:00 Uhr, Amtsgericht Weimar, Verhandlungssaal 2.056)
A.S.