Kluge Fragen ohne Antwort

An diesem extrem kalten Vormittag schien die tief stehende Wintersonne über den Erfurter Domplatz auf die neugotische Fassade des Landgerichts. Derweil musste sich die 4. Strafkammer mit einem fast zwei Jahre alten Fall beschäftigen. Zum wiederholten Mal wurde durch die Thüringer Strafjustiz wegen Gewalt rund um den Fußballsport verhandelt. Es ist ein altes Leid; auch ein altes Lied – bereits 1984 hatten die Böhse Onkelz gesungen: „Wir steh’n in uns’rem Block /und singen uns’re Lieder / Wir schwör’n auf uns’re Farben / und machen alles nieder…“

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Hochrisikospiele, bei denen die Ultras mit Hassgesängen die „gegnerischen“ Fans „begrüßen“, sind oft nur eine Vorstufe von eskalierender Gewalt nach dem Spiel. Unverständlich, was da in den Köpfen wirklich vorgeht. Leider gelang in der Berufungsverhandlung kein Einblick in die Gedankenwelt eines Fußball-„Fans“ – er schwieg überwiegend. Die dem 33jährigen Elektriker Ronny B.-S. zur Last gelegten Taten sind schnell erzählt: Er soll vor zwei Jahren nach einem Fußballspiel im und am Steigerwald-Stadion in Erfurt vermummt mit einer langen Fahnenstange aus Plastik um sich geschlagen und Steine in Richtung der Erfurter Fans geworfen haben. Die erstinstanzliche Verhandlung vor dem Amtsgericht Erfurt verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten, welche zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Gegen das Urteil legte sowohl die Verteidigung als auch die Staatsanwaltschaft Berufung ein. Dafür hatte die Vorsitzende Richterin Martina Hornstein-Engers Verständnis: „In dem Urteil des Amtsgerichts geht es drunter und drüber. Mit dem Urteil war wohl keiner der Beteiligten zufrieden“. Zum Verteidiger sagte sie: „Ich verstehe auch das Amtsgericht nicht. Erst lehnen sie Ihre Bestellung als Pflichtverteidiger ab, mit der Begründung, es wäre ein einfacher Sachverhalt und dann dauert es ein Jahr bis zur Anklage.“ Sie war, so sagte sie schnörkellos, nach dem Aktenstudium zu der Meinung gekommen, dass hier sehr wohl ein schwerer Landfriedensbruch, eine versuchte schwere Körperverletzung und ein Verstoß gegen das Versammlungsgesetz (Vermummung) vorliege, jedoch nicht tatmehrheitlich, sondern tateinheitlich. Sie hielt eine Freiheitsstrafe von einem Jahr für angemessen. „Ich schlage vor“ sagte sie „dass wir uns jetzt darüber unterhalten; deswegen habe ich auch keine Zeugen vorgeladen.“  

Nach dieser klaren und sachlichen Ansage ging es vorerst nur um Details, aber der Tathergang wurde Stück für Stück deutlich. Ronny B.-S. ist Fan vom FC Carl Zeiss Jena, Anhänger der „Südkurve“. Auf dem eigenen YouTube-Kanal kann sich der Leser von dieser Fankultur ein eigens Bild machen. Pyrotechnik, welche dem Fußballclub regelmäßig hohe Strafzahlungen vom DFB einbringt, sind, wie einpeitschende Gesänge, wohl normal. Gewalttätige Ausschreitung, Angriffe auf gegnerische Fans, Ordner und die Polizei wohl eher nicht. Sie sind aber leider Alltag, nicht nur in Thüringer Fußballstadien.

Der Angeklagte war beim Fußballspiel Rot Weiß Erfurt gegen FSV Frankfurt. Die Jenaer Fans und die Frankfurter sind durch eine sogenannte Fangemeinschaft verbunden, sie unterstützen sich gegenseitig. Nach dem Spiel zogen ca. 40 Männer aus Frankfurt/M. und Jena vom Gästeblock an den Zaun zu den Erfurter Fans. Sie wollten das Tor gewaltsam öffnen, schlugen um sich, warfen Steine – Erfurter Fans und Ordner wurden getroffen. Die Erfurter standen in Nichts nach. Mittendrin Ronny B.-S., den Schal hochgezogen, nur noch der Augenschlitz war zu sehen. Um nicht identifiziert zu werden, wie er vor dem Amtsgericht eingestanden hatte.

In der Verhandlung konnte nicht bewiesen werden, dass die Schläge mit der Fahnenstange und die Steinwürfe eine konkrete Person verletzt hatten. Ansonsten war der Angeklagte geständig. Über die juristischen Details soll hier nicht weiter referiert werden, viel wichtiger ist die Einschätzung der Tat in einer Gesamtwürdigung. Die Staatsanwältin, die im ersten Teil der Verhandlung leise sprach und blass wirkte, wurde konkreter. Ihr ging es um die eigentlichen Tathandlungen, um das Motiv. Sie fragte nach: „Was sollte passieren, wenn es gelungen wäre, dass Tor zu den Erfurtern aufzubrechen?“ Weiter die Staatsanwältin: „Sie gehörten zur Gruppe von ca. 40 Störern, was wollten sie weiter tun?“ Auf diese klugen Fragen schwieg der Angeklagte. Sie wurde daraufhin emotionaler und lauter: „Sie waren, wie wir in den Videos gesehen haben, vermummt. Sie waren schwarz gekleidet. Sie sahen gefährlich aus. Ich bin wahrlich nicht ängstlich, aber vor Ihnen musste man Angst haben!“ Betreten nuschelte der Angeklagte: „Vielleicht wäre gar nichts passierte, wenn das Tor aufging ….“. Darauf die Staatsanwältin leicht ironisch: „Sie wollten bestimmt nicht den Erfurtern zum Sieg gratulieren.“ Sie wurde wieder ernst: „Den Angeklagten ging es nicht um Sport, sondern um Randale. Er suchte die Auseinandersetzung nach dem Spiel. Das war kein Spaß mehr. Sie sind kein Fan, sie gehören zu einem Mob, sie sind eine Gefahr. Sie greifen nicht nur die gegnerischen Fans an, sondern auch Ordner, die ehrenamtlich arbeiten, und die Polizei. Das ist eine ganz üble Art!“

Ganz nebenbei fragte Staatsanwältin Keller den Angeklagten, wie das Spiel endete. Er sagte, dass Erfurt kurz vor Schluss das 2:0 schoss. Das war leider falsch, Erfurt gewann 1:0. Das Interesse lag wohl nicht wirklich beim Fußball….

Der ledige Angeklagte, der einschlägig vorbestraft war, wurde zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahre verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Bewährungszeit beträgt zwei Jahre, zusätzlich muss er eine Geldbuße von 600 € an einen gemeinnützigen Verein zahlen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Ronny B.-S. hatte noch nie Stadionverbot, die Aggression und Gewalt wird anscheinend in Teilen der Vereine und der Fankultur akzeptiert. Sein Pflichtverteidiger, welcher den Angeklagten merkwürdigerweise vor Gericht duzte, hatte scheinbar Sympathien. Ob das mit seiner ehrenamtlichen Tätigkeit für den FC Carl Zeiss Jena  zu tun hat – er war Präsidiumsmitglied – sei dahingestellt.

Bezüglich der Kultur können sich die Fußballbegeisterten übrigens an den Handballfans orientieren, wie die zeitgleich gespielte Handball-WM zeigt. Ein Fernsehmoderator brachte es auf den Punkt: „Ohne Polizei, ohne Absperrungen, ohne Pyrotechnik und ohne Gewalt!

A.S.

(22.01.2019, 09:00 Uhr – 4. Strafkammer des Landgerichts Erfurt, Saal 47)