„Ich bin der Einzige, der deswegen keine Scheiße macht.“ Richter Claus-Peter Behlau – Teil III

Der Direktor des Amtsgerichts Apolda war in der 11-Uhr-Verhandlung mit einer anderen Tugend gefragt: Während in der ersten Verhandlung das gute Gespür für den sachlichen Inhalt einer Akte wichtig war, gebot der zweite Fall eine gute Menschenkenntnis, eine Eigenschaft, über die alle Richter und Staatsanwälte verfügen sollten. Der dritte Fall lag in vielen Punkten anders: Auf der einen Seite war es Routine, denn es wurden Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz verhandelt, trotzdem fiel der Fall aus dem Rahmen. Das ging schon vor der Verhandlung los. Der Richter betrat über den Flur den beeindruckenden Sitzungssaal des Amtsgerichts Apolda: dunkel getäfelte Wände, Richtertisch und die beiden Seiten der Anklage und der Verteidigung im gleichen Stil gehalten, Eichenholz als Symbol der Langlebigkeit und Solidität. Der auf einer Bank im Flur sitzende Angeklagte begrüßte den eintretenden Richter: „Guten Tag, Herr Behlau!“ Der Ton war freundlich, fast vertraut und doch respektvoll. Bemerkenswerter Beginn, so was hat man auch nicht alle Tage.

Richter Behlau eröffnete die Hauptverhandlung mit den Personalien des Angeklagten: Der 33jährige Tom W. kam aus Apolda, hatte bis 2018 als Dachdeckergehilfe gearbeitet und war seitdem ohne Beschäftigung. Er ist ALG-II-Empfänger und begründete das ungewöhnlich: „Ich leiste jetzt erst mal meine Arbeitsstunden ab, das habe ich mit meiner Betreuerin von der Arbeitsagentur so besprochen.“ Das kam recht selbstbewusst daher, rhetorisch war der Angeklagte gut drauf, er erklärte weiter, dass er 520 Arbeitsstunden nach einer umgewandelten Geldstrafe ableisten müssen, dann würde er sich wieder um eine feste Arbeit kümmern. 

Staatsanwalt Glanz vertrat wieder die Anklage, er warf dem Angeklagten drei Taten vor: Am 28. September 2018 hatte er 10 Gramm Marihuana verkauft und selbst 0,17 Gramm bei sich. Zwei Tage später wurde er mit 0,28 Gramm Marihuana und einer Konsumeinheit Methamphetamin erwischt. Am 12. Februar 2019 hatte er eine Konsumeinheit Methamphetamin und 0,28 Gramm Marihuana/Tabakgemisch bei sich. Er fragte aber zu den Arbeitsstunden nach: „Das ist ja eine besondere Gunst, wenn die Geldstrafe in Arbeitsstunden umgewandelt wird!“ Das wusste der Angeklagte aber besser: „Das machen doch alle so. Ich leiste die Arbeitsstunden aber korrekt ab, stehen jeden Morgen auf und arbeite.

Richter Behlau erklärte: „Der erste Fall, Ziffer eins der Anklage, wird nicht eröffnet. Der zweite Beteiligte ist ein Syrer, wo keiner den richtigen Namen kennt. Der ist zurzeit in U-Haft, hätte sowieso nach 55 Aussageverweigerungsrecht. Das ist Der, wegen dem es in der Stadt schon Plakate gab, die seine Ausweisung forderten.“ Darauf der Angeklagte: „Krieg ich dann meine 120 Euro wieder?“ Ganz offensichtlich waren ihm in diesen ersten Fall 120 Euro Bargeld eingezogen worden. Staatsanwalt Glanz: „Nein, es wird ja auf eine Geldstrafe hinauslaufen und da werden die 120 Euro verrechnet.“ Ganz ernst hatte es der Angeklagte wohl auch nicht gemeint, an Selbstbewusstsein mangelte es ihm auf jeden Fall nicht. Er hatte auch eine eigene Meinung zu diesem Fall, verhielt sich aber (klugerweise) defensiv, hatte wohl tatsächlich nicht versucht, diesen Syrier Drogen zu verkaufen, wie an einigen Zwischenbemerkungen zu erkennen war.

Der Angeklagte nahm zu den verblieben zwei Taten Stellung, er gab sie unumwunden zu, er sei Konsument, was die Polizei ihm aber nachweisen wolle, nämlich das er mit Betäubungsmitteln handele, das stritt er ab. Das war aber auch nicht Gegenstand der Anklage. Jedoch, mir der Polizei hatte der Angeklagte wohl noch Einiges offen, er nannte Namen von Kriminalbeamten, die ihm wohl Betäubungsmittelhandel nachzuweisen versuchten. Richter Behlau eher nebenbei und ohne weiteres Interesse: „Ja, die kenne ich gut.“ Seine Geschichte, reiner Konsument zu sein, erschien aber im Laufe der Verhandlung glaubhaft. Beim nun ersten Fall hat die Polizei das Marihuana in seiner Wohnung festgestellt. Er hatte die Polizei selbst gerufen, wegen eines Einbruchs. „Die sind erst nach Stunden gekommen.“, beschwerte er sich, worauf der Richter nicht reagierte, jedoch sich nicht verkneifen konnte, den Angeklagten augenzwinkernd entgegenzuhalten: „Das haben Sie wohl zuvor nicht richtig saubergemacht?

In wirklicher Sorge fragte Richter Behlau nach: „Also, das klingt hier nach so kleinen Mengen. Da muss ich mal sagen, Marihuana, da kann dazu stehen, wie man will, aber Crystal Meth, das ist doch gefährlich, da wird man krank, das sehe ich hier jeden Tag.“ Der Angeklagte gab selbstbewusst zu, Drogen zu konsumieren, als eigenständige und bewusste Entscheidung von ihm. Der Appell des Richters erreicht ihn nicht, wohl aber sein guter Wille. Er fügte hinzu: „Ich bin der Einzige, der deswegen keine Scheiße macht.“

Der Bundeszentralregisterauszug zum ihm gibt dem teilweise Recht: Seit 2004 gab es Einträge: Diebstahl, Unterschlag, Körperverletzung. 2009 wurde er zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt, von dem er einen Teil verbüßt hat. Seit dem ist er über zehn Jahre nicht in Erscheinung getreten. Erst 2018 ist er wegen zwei BtM-Delikten zu 70 Tagessätzen verurteilt wurden. Richter Behlau: „Ich habe Sie ewig nicht gesehen. Wenn man das so lange macht, wie ich, da kennt man Viele, kennt die Familien, kennt die Geschichten, weiß um die Probleme, die privaten Verhältnisse und Schwierigkeiten. Ich kenne Sie noch wegen der Jugendsachen, dann zehn Jahre Ruhe.“ Er hatte auf eine altmodisch-sympathische Art Verständnis für den Angeklagten.

Staatsanwalt Glanz plädierte: „Da ist er ja nur ein Mal wegen BtM vorbestraft. Da der Angeklagte geständig ist, beantrage ich eine Verurteilung zu 40 Tagessätzen a 15 Euro.“ Genau so lautete auch das Urteil, welches der Direktor des Amtsgerichts Apolda als Einzelrichter quasi sofort verlas. Der Angeklagte, er war ohne Verteidiger erschienen, erklärte Rechtsmittelverzicht, da dies auch der Staatsanwalt tat, ist das Urteil rechtskräftig.

Warum der Angeklagte Betäubungsmittel konsumierte und dafür nicht unerheblich Geld ausgibt, blieb nicht hinterfragt und offen. Richter Behlau kennt sich im kleinstädtischen Milieu gut aus, mehrfach hatte er Anknüpfungspunkte zum Angeklagten, wusste, wo er wohnte, Bekannte von ihm waren auch dem Richter ein Begriff. Ein unspektakulärer Fall, der den Gerichtsalltag nicht nur am Amtsgericht Apolda prägt.

Das geschützte Rechtsgut des Betäubungsmittelgesetzes ist die Volksgesundheit. Abgesehen davon, dass der Begriff gewöhnungsbedürftig ist – Public Health klingt besser – stellt sich natürlich die Frage, ob der Angeklagte als Konsument wirklich von der Strafjustiz verfolgt werden muss, ob dadurch der Gesundheit der öffentlichen Gesellschaft gedient wird. Ein erzieherischer Wert geht vom Strafverfahren und vom Urteil auf jeden Fall nicht aus. Dies ist wohl auch nicht möglich, beim Angeklagten gehen alle Straftheorien, welche den Sinn und Zweck von Strafen begründen, vorbei. Er konsumiert die von ihm ausgewählten Drogen genau so, wie Millionen von Menschen Spirituosen konsumieren und durch die deftige Alkoholsteuer gemäß Alkoholsteuergesetz die Einnahmen des Staates erhöhen, ohne an die Volksgesundheit zu denken.

(04.06.2019 – 11:00 Uhr, Amtsgericht Apolda, Verhandlungssaal 51)

A.S.