Die 2. Strafkammer des Landgerichts Erfurt unter dem Vorsitzenden Richter Detlef Hampel tagte am 4. Dezember 2020 ab 9 Uhr zu einem Straftatbestand, zu welchen ich bisher noch nicht berichtet hatte. Paragraf 184b Strafgesetzbuch (StGB) stellt die Verbreitung, den Erwerb und Besitz kinderpornographischer Schriften unter Strafe. Paragraf 184c StGB ist quasi die Parallelvorschrift zu jugendpornographischen Schriften. Diese beiden Strafrechtsnormen finden sich gesetzessystematisch im 13. Abschnitt des Strafgesetzbuches: Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 – 184j). Dies deutet schon auf das geschützte Rechtsgut hin.
Das Sexualstrafrecht ist seit dem 4. Gesetz zur Reform des Strafrechts (4. StrRG) aus dem Jahre 1973 mehrfach geändert worden, aktuelle Änderungen stehen an.
Angeklagt war der 49jährige Peer B., er wurde aus der Untersuchungshaft vorgeführt. Frau Rechtsanwältin Carolin Vinz vertrat ihn als Verteidigerin. Der Vorsitzende hielt sich nicht lange mit einer Vorrede auf, erhob zuerst die Personalien. Dabei überraschte, dass der aus Gotha stammende Angeklagte mehrere Jahre in Erfurt lebte, seinen letzten Hauptwohnsitz aber in Belgrad, der Hauptstadt Serbiens, hatte. Das Verfahren war bereits dem Landgericht zur Übernahme vorgelegt gewesen, wurde zuerst aber abgewiesen. Dann wurde die öffentliche Hauptverhandlung beim Schöffengericht des Amtsgerichts Erfurt eröffnet und in deren Verlauf durch Beschluss wieder der Großen Strafkammer des Landgerichts Erfurt vorgelegt, wo es nun verhandelt wurde.
In einer Pause klärte Staatsanwalt Daniel Thon auf Nachfrage: „Bestimmte Maßregeln der Besserung und Sicherung könne nur das Landgericht aussprechen.“ Das war immer noch nebulös, ein Blick ins Gesetzbuch half aber weiter: Paragraf 24 Absatz 1 Ziffer 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes regelt, dass die Zuständigkeit für Strafsachen beim Landgericht liegt, wenn im Einzelfall eine höhere Strafe als vier Jahre Freiheitsstrafe oder die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus, allein oder neben einer Strafe, oder in der Sicherungsverwahrung (§§ 66 bis 66b des Strafgesetzbuches) zu erwarten ist. Die Sicherungsverwahrung ist eine Maßregel der Besserung und Sicherung. Aha, darum ging es. Da verfolgt man die Verhandlung aus einem ganz anderen Blickwinkel, geht es doch bei der Sicherungsverwahrung darum, die Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern zu schützen.
In dieser Verhandlung wurden also zwei Perspektiven bearbeitet: Zum Einen – hat sich der Angeklagte im Sinne der Anklageschrift schuldig gemacht? Zum Anderen – ist er ein Mensch mit einem Hang, immer wieder neue Straftaten zu begehen? Der festzustellende „Hang“ ist wiederum wesentliches Merkmal einer zu erstellenden Gefährlichkeitsprognose. Diese Prognosen sind nicht nur relevant, wenn es um Sicherungsverwahrung und andere Maßregeln der Besserung und Sicherung geht. Auch bei Vollzugslockerungen, Strafaussetzungen auf Bewährung, Aussetzung des Strafarrestes im Jugendstrafrecht sowie bei öffentlich-rechtlichen Unterbringungen nach dem Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKG) bzw. Unterbringungsgesetz (UBG) wird diese Methode angewandt.
Ob und inwieweit von einer Person in der Zukunft für die Allgemeinheit eine Gefahr ausgehen wird, eine Gefährlichkeit vorliegt, ist für das Gericht nur schwer zu beantworten. Da Paragraf 246a der Strafprozessordnung die Vernehmung eines Sachverständigen in der Hauptverhandlung vor der Entscheidung über eine Unterbringung vorsieht, hatte neben den Anklagevertreter der Staatsanwaltschaft Erfurt ein Gutachter Platz genommen. Mit Professor Dr. Hans-Peter Volz, ärztlicher Direktor des Krankenhauses für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin Schloss Werneck (Unterfranken), hatte die 2. Strafkammer einen Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie für Neurologie gewonnen, der bereits am ersten Verhandlungstag bemerkenswerte Impulse setzte.
Zunächst ging es aber mit der Anklage weiter, die vom zuständigen Staatsanwalt Daniel Thon vorgetragen wurde. Dem Angeklagten wurde vorgeworfen, im Frühjahr 2018 auf mehreren elektronischen Speichermedien insgesamt über 2.000 überwiegend kinderpornographische und weitaus weniger jugendpornographische Dateien besessen zu haben. Diese wurden bei einer Durchsuchung in seiner Wohnung in Erfurt bzw. im Kraftfahrzeug seines Arbeitgebers sichergestellt. Auf den Bildern und Videos waren meist männliche Kinder abgebildet, welche miteinander bei sexuellen Handlungen dargestellt waren, aber auch durch erwachsene Männer missbraucht wurden. Es war Oral- und Analverkehr dargestellt, in einigen Fällen waren auch weibliche Kinder Opfer, dort war auch Vaginalverkehr dargestellt. (Auf weitere Schilderungen wird hier verzichtet.)
Anlass der Durchsuchung war ein größeres bundesweites Verfahren wegen des Besitzes von Kinderpornographie, über welches am ersten Tag der Verhandlung nur in einem Halbsatz gesprochen wurde.
Der Vorsitzende teilte eher nebenbei mit, dass es zwischen den Verfahrensbeteiligten keine Absprachen gab und fragte den Angeklagten, ob er sich zur Sache äußere wolle. Dieser ließ über seine Verteidigerin mitteilen, dass er Aussagen machen würde. In der ersten halbe Stunde der Verhandlung beugte sich der Angeklagte, an der sie trennenden Plastik-Wand vorbei, zur Verteidigerin hinüber und flüsterte mit ihr, Antworten zu einzelnen Fragen des Gerichts und des Staatsanwaltes absprechend. Dabei hustete er immer wieder stark und anhaltend.
Der Angeklagte, so seine Verteidigerin, bestreitet die Tat nicht. Er selbst: „Die Dateien stammen von einer Zeit vor der letzten Inhaftierung, sie waren in einer Cloud, die jetzt nicht mehr besteht.“
Richter Hampel: „Wann haben Sie diese Dateien heruntergeladen, und von wo?“ Der Angeklagte, von Hustenattacken unterbrochen und schwer zu verstehen: „Von einer Tauschbörse aus dem Darknet.“ Der Richter fragte weiter: „Anlass der Durchsuchung bei Ihnen waren BKA-Ermittlungen, da ging es um eine Firma in Kanada. Haben Sie von dort etwas heruntergeladen?“ Peer B.: „Ich habe auch einen Link aus Kanada heruntergeladen.“
Der Vorsitzende zum Angeklagten: „Sie sind schon einmal verurteilt worden, von einem österreichischen Gericht! Wir machen zu den persönlichen Verhältnissen weiter.“ Angeklagter: „Ich habe eine Halbschwester, sie ist jetzt 33 Jahre alt, meine Mutter lebt in Gotha, meinen Vater kenne ich nicht. Ich bin bei meiner Mutter aufgewachsen, sie hatte einen Neubauernhof, da wohnten auch meine Großeltern und zwei Onkel. Nach der 10. Klasse habe ich eine Lehre als Ofen- und Heizungsbauer gemacht, auch erfolgreich beendet.“ Da der Angeklagte immer noch in kurzen Abständen stark hustete, ordnete der Vorsitzende eine Pause an und ließ den Verhandlungssaal lüften.
Nach der Pause fuhr der Angeklagte fort: „Ich war dann zwei Jahre beim Bund, anschließend zwar ich zwei Jahre als Animateur auf Teneriffa. Dann hab ich privat als Webdesigner gearbeitet, mit Unterbrechungen bis 2000.“
Der Vorsitzende Richter: „Wie ging es dann weiter?“ – „Dann kam die Haft, die erste, und dann hab ich nie mehr richtig Fuß gefasst.“ Seine Verteidigerin ergänzt: „Die erste Haft war 1999.“ Der Angeklagte weiter: „Ich habe mich dann durchgewurschtelt, habe als selbstständiger Webdesigner auf Zuruf gearbeitet – wer was gemacht haben wollte, hats gekriegt. 2009 bin ich dann nach Österreich gezogen.“ Richter Hampel: „Was haben Sie dort gemacht?“
Der Angeklagte „vergaß“ zu husten: „Ich hab mir eine Stelle als Erzieher erschlichen.“ Das wollte der Richter genau wissen und fragte weiter nach. Der Angeklagte, der sich unerwartet redselig gab, weiter: „Ich hab mir danach einen Abschluß als Erzieher aus dem Internet gezogen und hab mich als Erzieher in einem Kinder- und Jugendheim anstellen lassen, da ist es auch zu der Straftat gekommen. Ich wurde vom Landgericht Wien verurteilt. Dann bin ich wieder nach Erfurt und hab bei einer Zeitarbeitsfirma gearbeitet und dann bin ich nach Belgrad.“
Der Vorsitzende Richter las im Anschluß aus der Führungsaufsichtsakte vor und stellte an den Angeklagten dazu Fragen. So fragte er zu einer Gefährderansprache vom Februar 2016: „Sie gaben in diesem Gespräch an, bisexuell zu sein, stimmt das?“ – „Ja.“ Der Richter weiter: „Sie gaben an, Phantasien von männlichen Kindern und Jugendlichen zu haben und nie von Frauen geträumt zu haben, stimmt das?“ – „Ja. Es war einfach da.“
Der Angeklagte fängt wieder an zu husten, sieht zum Richtertisch, dann zur Verteidigerin und spricht weiter: „Es fällt mir nicht leicht, darüber zu sprechen, und ich habe viele Jahre gar nicht darüber geredet. Ich wurden, als ich zwischen sieben und zehn Jahren alt war, von meinen Onkel missbraucht.“
Es folgte ein Gespräch zwischen dem Angeklagten und dem Vorsitzenden zu dieser damaligen Situation, bevor Richter Hampel weitere Fragen stellte: „Wie schätzen Sie selbst Ihre Sexualität ein?“
Der Angeklagte, der seit dem nicht mehr hustete: „Durch die Therapie habe ich gemerkt, dass sich bei mir die Altersgrenze nach oben verschoben hat. In Serbien hatte ich – was ich mir vorher nicht vorstellen konnte – eine Beziehung zu einer Frau. Ich habe immer versucht, ein normaler Mann zu sein, mit einer Frau zusammen zu sein. Die Beziehungen hielten aber nicht lange, die längste war sechs Monate. Es fehlte immer was.“ Er erzählte weiter, dass er seit der letzten Haftentlassung bei pro familia in Therapie sei und diese ihm guttue. Seine Verteidigerin ergänzte: „Dr. John kann als Zeuge gehört werden, er ist von meinen Mandanten von der Schweigepflicht entbunden und kann zum Inhalt der Therapiesitzungen aussagen.“
Der Richter fragte den Angeklagten weiter zu Gefährderansprachen, zu seiner sexuellen Orientierung und fragte nach, warum er sich auf einer Internetplattform nach Adoptionen erkundigt hatte. Der Angeklagte antwortete ausweichend, dass dies zeitlich noch vor Österreich war. Er erzählte weiter, dass er Mitte 2008 übers Internet eine Frau aus Belgrad kennengelernt hatte, Valentina, und gemerkt habe, dass sein Interesse an Frauen größer geworden war. Hier fing er wieder an zu husten, eher künstlich. Der Vorsitzende hielt ihm den Inhalt einer weiteren Gefährderansprache vom April 2018 vor, wonach er immer noch eine Vorliebe für Jungens im pubertären Alter einräumte. Auch im Juli 2018 gab es ein Gespräch mit vergleichbarem Inhalt.
Im Dezember 2019 handelte die Gefährderansprache von einem Polizeieinsatz, welcher nötig wurde, weil eine Vermieterin die Polizei gerufen hatte. Der Angeklagte hatte einen 9jährigen Jungen bei einer Wohnungsbesichtigung dabei und hat ihn dort als „Ziehsohn“ ausgegeben. Der Angeklagte: „Es ist der Sohn eines guten Bekannten, er ist gern bei mir und ich bin gern mit ihm zusammen. Er wollte sich die neue Wohnung unbedingt mit ansehen…“
Der Vorsitzende Richter der 3. Strafkammer begann mit seinen Fragen zur Sache: „Wie stark ist Ihr Verlangen, wenn Sie bereits mehrfach wegen des Besitzes von Kinderpornographie immer wieder straffällig wurden, können Sie etwas zur Stärke des Drangs sagen?“ Seine Verteidigerin mischte sich ein: „Das waren Dateien, die noch vor der letzten Haft sichergestellt worden. Sein Fehler war, die Dateien aus der Cloud heruntergeladen zu haben, bevor das Cloud-Konto gelöscht wurde.“ Das war – gelinde gesagt – an der Frage haarscharf vorbei. Richter Hampel: „Wie oft haben Sie sich diese Dateien angesehen?“ Der Angeklagte: „Das habe ich auch früher nicht gemacht. Das war eher so eine Art Sammeln, je mehr ich davon hatte, je mehr ich besaß, desto besser. Es war für mich eigentlich von Anfang an so, als ob die Bilder für mich ein Familienersatz waren, wo ich unter Jungs war, wo ich gut aufgehoben war. Es war für mich Familie.“
Da brauchten die Zuhörer schon gute Nerven. Dass der Richter und der Staatsanwalt hier ruhig blieben, war bemerkenswert professionell – leider. Hin und wieder wünscht man sich auch einen emotionalen richterlichen Ausbruch.
Es folgte eine weitere Frage-Antwort-Phase, da der Angeklagte behauptete, die Dateien mit kinder- und jugendpornographischen Bildern und Videos nicht angesehen zu haben – „nur beim herunterladen“. Er versuchte, dem Gericht glaubhaft zu machen, dass er sich in den letzten Jahren geändert hatte, dass er seine pädophilen Neigungen zum Teil überwunden hatte und feststellte, dass er auch mit einer Frau zusammenleben könne.
Richter Hampel: „Zu Ihrer ersten Verurteilung, da haben wir kein Urteil, weil die Akte schon vernichtet wurde, worum ging es da, können Sie sich erinnern?“
Der Angeklagte konsultiert sich flüsternd mit seiner Verteidigerin. Der Richter ergänzt seine Frage: „Das war das erste Mal, dass Sie wegen Kinderpornographie verurteilt wurden, und gleich zu einem Jahr und sechs Monate Freiheitsstrafe, also richtig. Das sagt Ihnen nichts mehr?“
Die Verteidigerin zeigt ihren Mandanten etwas in ihrer Handakte, er liest etwas und antwortet: „Nein.“
Richter Hampel resümiert: „Das finde ich schon merkwürdig, da bekommen Sie ein Jahr und sechs Monate Freiheitsstrafe und können sich nicht daran erinnern…“
Die nächsten Fragen stellte Frau Richterin Clemens: „Wie viele technische Geräte hatten Sie bei der Durchsuchung in Ihren Besitz?“ Der Angeklagte Peer B.: „Ein Laptop, einen Stand-PC, zwei oder drei Handys.“
– „Auf welchen Geräten hatten Sie Zugriff auf die Cloud?“
– „Alle.“
– „Haben Sie die Bilder und Videos aus der Cloud auf externe Speichermedien gespeichert?“
Der Angeklagte überlegt länger, die Richterin hakt nach: „USB-Stick, sagt Ihnen das etwas?“
– „Ich weiß, dass ein USB-Stick sichergestellt wurde…“
Die sehr jung wirkende Richterin ließ nicht locker: „Ich halte Ihnen vor, dass bei Ihnen sieben Speichermedien sichergestellt wurden, darunter ein USB-Stick, auf dem die meisten kinderpornographischen Dateien sichergestellt wurden. Was sagen Sie dazu?“
Der Angeklagte, der schon lange nicht mehr hustete, antwortete undeutlich und kleinlaut: „Ich hatte einen USB-Stick benutzt.“ Das war keine wirkliche Erklärung, die Nachfrage war obligatorisch: „Wie können Sie sich erklären, dass sie Speichermedien mit kinderpornographischen Inhalt in Besitz hatten, obwohl Sie erklärten, die Dateien nicht angesehen, sondern nur beim Löschen der Cloud synchronisiert zu haben?“
Darauf weiß der Angeklagte keine Antwort, auch die Fragen vom Staatsanwalt blieben unbeantwortet.
Der Vorsitzende fragt nach, warum der Angeklagte gegen die Bewährungsauflage, jeden Wohnsitzwechsel anzuzeigen, verstoßen hatte, als er von Erfurt nach Gotha gezogen war. Der Angeklagte wechselt ein paar Worte mit seiner Verteidigerin, sie forderte ihn auf: „Nun sagen Sie es schon!“
Der Angeklagte: „Es ging um den Bewährungshelfer Breternitz. Der war von Anfang an gegen mich eingestellt. Er hat ständig auf mir rumgehackt. Er hat immer aus einer Mücke einen Elefanten gemacht. Ich habe wegen ihm mehrere Petitionen gestellt. Ich musste mir von ihm anhören ‚Sie will ja eh keiner haben!‘. Die Frau Rathemacher von der Führungsaufsicht kam prima mit Herrn Breternitz aus.“
Richter Hampel: „Was heißt ‚aus einer Mücke einen Elefanten gemacht‘?“ Der Angeklagte beantwortete wieder mal eine Frage nicht, aber reagierte: „Wenn Sie immer hören ‚Ich glaube Ihnen nicht.‘– ‚Sie spielen mir nur etwas vor.‘ Das ist keine Hilfe.“
„Wie ging es weiter?“ wollte der Richter wissen. „Ich wollte nach Gotha umziehen, um einen neuen Bewährungshelfer zu bekommen. Dann hatte ich ein Gespräch mit der Führungsaufsicht.“ Staatsanwalt Thon, der genau beobachte, sehr gut zuhörte, fragte nach: „Hatten Sie denn einen neuen Bewährungshelfer?“ Der Angeklagte: „Ja, in Gotha, kurzzeitig.“
Und dann lenkte er ab und echauffierte sich regelrecht: „Da war die permanente Gängelung von Herrn Deffner vom LKA, der immer versuchte, etwas zu finden…“ Staatsanwalt Thon unterbrach ihn: „Was passierte dann?“ Der Angeklagte, fast stolz: „Ich bin dann nach Belgrad – es war ein Fehler, aber es war die schönste Zeit.“
„Wie sind Sie da hingekommen?“ wollte Staatsanwalt Thon wissen. „Ich habe Valentina übers Internet kennengelernt. Ich wollte Sie nur für zwei Wochen besuchen, daraus sind dann leider sechs Monate geworden. Ich weiß, dass es ein Fehler war.“
Ja, das war wohl ein Fehler. Zwischenzeitlich gab es nämlich einen Haftbefehl gegen ihn,die Zielfahndung des LKA Thüringen hatte ihn gesucht und in Belgrad gefunden, seine Festnahme veranlasst und ihn zurück nach Thüringen gebracht.
Erstmals stellt der Gutachter Professor Volz Fragen an den Angeklagten, zuerst bezogen auf die Beziehung zu Valentina: „War es eine sexuelle Beziehung?“
– „Ja.“
– „Zu wie vielen Frauen hatten sie sexuellen Beziehungen?“
– „Sechs oder sieben.“
– „Auch mit Orgasmus?“
Der Angeklagte zögerte leicht und antwortet, unsicher lächelnd mit „Ja.“
Der Gutachter fragte weiter präzise nach: „Warum sind diese Beziehungen auseinandergegangen?“
– „Ich hatte manchmal das Gefühl, erdrückt zu werden.“
Professor Volz: „Körperlich?“
Der Angeklagte lacht: „Nein.“
Der Gutachter wechselt das Thema: „Warum hatten Sie den 9jährigen Jungen mit in die Wohnung genommen? Warum haben Sie den Jungen mitgenommen, obwohl Sie es gemäß Führungsaufsicht nicht durften. Sie hatten Führungsaufsicht, hatten Freiheitsstrafen, hatten HEADS. Was bringt Sie dazu, diese Führungsaufsicht so gefährlich zu verletzen?“.
Der Angeklagte: „Ich hatte ihn mitgenommen, weil ich ihn gerne bei mir hatte und weil er gebettelt hatte, weil er die Wohnung sehen wollte.“
Professor Volz: „Herr Dr. John hat Ihnen sicherlich bei den Therapiestunden gesagt, dass Sie sich nicht in die Nähe von Jungen bringen sollen?“
– „Ja.“
– „Haben Sie mit Herrn John darüber gesprochen?“
– Ja.“
Jetzt wollte es der Gutachter aber genau wissen: „Warum machen Sie das mit dem Luca, warum setzen Sie sich selbst einem solchen Risiko aus, denn Sie wissen, dass Sie sich damit der Nähe zur Pädophilie aussetzen?“
Dem Angeklagten sind die konkreten Nachfragen offensichtlich unangenehm: „Ich kann mich da nur wiederholen….“
Professor Volz wechselt wieder das Thema und fragt nach: „Besteht der Kontakt zur Freundin noch?“
– Nein, seit einem Jahr nicht mehr, seit der Haft ist der Kontakt abgebrochen.“
Nach einer zehnminütigen Pause fragt der Vorsitzende den Angeklagten: „Haben Sie sich schon vom Gutachter explorieren lassen? Der Angeklagte bespricht sich mit seiner Anwältin und erklärt sich dann bereit, sich explorieren zu lassen, wenn seine Rechtsanwältin dabei sein kann. Das Gericht verständigt sich mit dem Gutachter, am kommenden Donnerstag den Verhandlungstermin dazu zu nutzen.
Der erste Zeuge wird aufgerufen. Der 37jährige Kriminaloberkommissar Fabian D. ist bei der Kriminalpolizeiinspektion Erfurt tätig und wohl der zuständige Sachbearbeiter dieses Verfahrens. Er war auf jeden Fall bei der Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten im April 2018 mit vor Ort, Richter Hampel fragt fast ausschließlich anhand des ihm vorliegenden Durchsuchungsberichts. Der Kriminalbeamte kann sich erinnern: „Es war im April 2018, wir durchsuchten eine kleine, sehr unordentliche Wohnung und hatten mehrere Handys, einen Laptop und PC sowie im Auto ein Laptop, ein USB-Stick und zwei Handys sichergestellt. Der Angeklagte wirkte bei der Durchsuchung recht ängstlich, hatte wohl den Verdacht, festgenommen zu werden. Dann fand die Basisauswertung durch das LKA statt. Ich kann mich daran erinnern, dass er zwei neuwertige Samsung-Handys hatte. Auf beiden waren Dateien mit kinderpornographischem Inhalt drauf. Wir haben dann die Verbreitungsuntersuchung vorgenommen, diese konnte nicht nachgewiesen werden. Wir hatten sieben Geräte mitgenommen, da muss noch die Kommunikationsauswertung durchgeführt werden. Das macht niemand anderes als ich. Er hat sich für die Adoption eines Kindes interessiert, da ging es auch um Geldsummen. Ich habe es leider nicht geschafft, dass weiter auszuwerten. Ich bin der Ansprechpartner für HEADS-Probanden und das ist eine präventive Arbeit, die hat Vorrang. Und dann muss ich noch die Sachbearbeitung machen. Den Hinweis auf die Adoption des 10jährigen, eines ‚Callum‘ vermutlich aus England, hab ich noch nicht verschriftet. Er wäre auch bereit gewesen, dafür Geld zu bezahlen. Bei der Kommunikation nutzte er auch einen russischen E-Mail-Account. Er hat sich dem Verfahren entzogen, weil er sich für neun Monate abgesetzt hat. Sein PC war verschlüsselt, ist immer noch verschlüsselt. Vielleicht hilft der Angeklagte jetzt…“
Der Zeuge hatte wirklich ununterbrochen und schnell geredet, jetzt fragte der Vorsitzende nach: „Die Durchsuchung ist vor zweieinhalb Jahren erfolgt, da liegt jetzt noch kein Bericht bei uns vor?“ Der Zeuge: „Die Daten unterliegen einen Prozess, bei uns bei der RBE* liegen viele vor. Die Basisauswertung findet im LKA statt, dann wird es bei der RBE bei uns weiter bearbeitet und die sind völlig überlastet.“ Der Vorsitzende fragt nach: „Das hört sich alles nebulös an. Können Sie das, was Sie uns hier mündlich berichtet haben, können Sie das schriftlich einreichen?“
– „Ja, kann ich machen.“
Der Richter fragt konkret nach: „Welche konkreten Hinweise haben Sie zu Kinder- und Jugendpornographie? Der als Zeuge geladene Kriminalbeamte sagte tatsächlich: „Das kann ich nicht sagen, soweit bin ich mit der Auswertung noch nicht.“
Unverdrossen fragt der Vorsitzende weiter nach: „Was halten Sie von der Aussage des Beschuldigten, er hatte die betreffenden Daten von der Cloud synchronisiert und sie so aktualisiert?“
Der Zeuge: „Das kann ich mir nicht vorstellen. Dazu kann aber mein Kollege vom LKA nähere Angaben machen. Ich bin nur Laie, habe mir das selbst beigebracht.“ Die letzte Frage an den Zeugen: „Können Sie den Inhalt der Bilder beschreiben?“
Der Kriminalbeamte will in einer mitgeführten Akte nachsehen. Der Richter, etwas angefressen: „Nein, ich möchte wissen, ob Sie sich konkret erinnern können.“
– „Nein.“
Der Zeuge wurde entlassen, sein „Auftritt“ war schwach, er war schlecht auf seine Aussage vorbereitet. Gemessen am Tatvorwurf und dem geschützten Rechtsgut hat man nach 2 ½ Jahren seit der Durchsuchung mehr erwarten müssen. Was jedoch auch schwer wiegt, ist seine Selbsteinschätzung als „Laie“, da kann man nur den Kopf schütteln. Auch habe ich noch keinen Richter oder Staatsanwalt in einer öffentlichen Hauptverhandlung über die eigene Arbeitsbelastung klagen gehört…
Anschließend fragte Richter Hampel den Angeklagten direkt: „Jetzt mal ehrlich, was war das mit der Adoption?“ Der Angeklagte überraschte mit einer für seine Verhältnisse offenen Aussage, gab die Suche nach einem Jungen im Internet zu, hatte Kontakt zu einem angeblichen Vater eines 10jährigen Jungen, welcher „zur Verfügung stehen würde“. Jedoch zweifelte er, dass es ein tatsächliches echtes „Angebot“ gewesen war. Letztlich hatte sich alles zerschlagen, als der „Vater“ im drohte, den Inhalt ihrer Kommunikation der Polizei zu übergeben, wenn er nicht 500 € zahlen würde.
Richter am Landgericht Tietjen und Richterin Clemens fragten noch zu Chatgruppen, deren Inhalte, wie man dort hineinkommt, aber alle Fragen bleiben ohne wirkliches Ergebnis. Der Angeklagte antwortete scheinbar bereitwillig, aber nichtssagend.
Als nächster Zeuge wurde der 55jährige Kriminalbeamte Thomas Brosch aufgerufen. Er ist Sachbearbeiter im Dezernat Cybercrime des Landeskriminalamtes Thüringen. Er entsprach in seinem Auftreten und seinen Aussagen den Erwartungen, die man an einen Experten stellen konnte: Klare und verständliche Aussagen, wenn es etwas technisch wurde, mit entsprechenden Erläuterungen. Er stellte dar, wie die gesicherten Daten von der Erfurter Kripo zum LKA gelangten, wie sie mit welcher Software aufbereitet und wieder mit einer anderen Software ausgewertet wurde. Dem Gericht lag ein detaillierter Auswertebericht des LKA vor, der Richter ging ihn mit dem Zeugen durch.
Im Ergebnis wurde festgestellt, dass der Angeklagte im Besitz von 2.105 eindeutig kinderpornographischen Dateien und 169 eindeutig jugendpornographischen Dateien war. Darunter befanden sich 956 Videos mit einer Gesamtlaufzeit von 119 Stunden!
Der Richter bat die beteiligten an den Richtertisch und man nahm gemeinsam eine Bildmappe mit Ausdrucken der Dateien in Augenschein. Oftmals ist diese Inaugenscheinnahme am Richtertisch ein Ärgernis, widerspricht es doch in grenzwertigen Rahmen dem Öffentlichkeitsprinzip. Dieses Mal war da nichts zu bedauern. Die Gesichter der Beteiligten sprachen Bände.
Abschließend wurde der Zeuge befragt, seit wann die Dateien auf den Speichermedien vorhanden waren. Auch diese Frage beantwortete er zur vollsten Zufriedenheit, indem er auf eine mitgelieferte Tabelle zu jeder einzelnen Datei verwies.
Nach der Mittagspause wurden zuerst der Erfurter Bewährungshelfer Stefan Breternitz und anschließend sein Gothaer Kollege, der bis zur Inhaftierung des Angeklagten für den Angeklagten zuständig war, zeugenschaftlich gehört.
Die Verhandlung wurde vertagt. In der nächsten Woche erfolgt die Fortsetzung.
*RBE: Regionale Beweissicherungseinheit – In der Thüringer Polizei eine Organisationseinheit bei den Kriminalpolizeiinspektionen.
(04.12.2020, 09:00 Uhr, 2. Strafkammer am Landgericht Erfurt, Saal E 43)