Fabian fährt wieder hoch

Die Staatsanwältin hatte drei einzelne Anklagen zusammengefasst, zwei davon sollten eigentlich vor dem Jugendrichter verhandelt werden. Mit der dritten Anklage musste sich der 19jährige Fabian K. aber vor dem Jugendschöffengericht verantworten. Die Vorsitzende Richterin hatte zwei Verhandlungstage angesetzt und fast ein Dutzend Zeugen geladen. Alle kannten den Angeklagten schon länger, wie es für Beziehungsdelikte typisch ist, noch dazu in einer Kleinstadt.

Fabian K. musste sich wegen gefährlicher Körperverletzung, Sachbeschädigung und Beleidigung verantworten. Als Heranwachsender nach dem Jugendgerichtsgesetz, wenn das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass er entsprechend seines Reifezustands eher als Jugendlicher anzusehen ist.

Alle Zeugen sagten aus, dass Fabian „leicht austickt“, er selbst nennt das „hochfahren, wenn ich aufgewiegelt werde“. Viele in dieser kleinen Stadt wissen, dass er selbst bei Kleinigkeiten aggressiv werden kann.

Die erste Tat ereignete sich am Abend eines Volksfestes im Sommer 2017. Fabian sagte einem 17jährigen Bekannten C., welcher häufig eine sogenannte Bomberjacke trägt, dass er sie lieber ausziehen solle, da viele Ausländer auf dem Fest sind. Am späten Abend merkte C., dass diese Warnung unnötig gewesen war und suchte Fabian, um ihn zur Rede zu stellen. Es kam zu einem Handgemenge. Der 30jährige Zeuge Ronny K. kam hinzu und wollte schlichten – wir wissen, dass geht selten gut. Fabian fühlte sich von Ronny bedroht und griff ihn an. Ronny hat sich dann mit offenen Armen vor Fabian gestellt und gesagt „Wenn Du mich schlagen willst, dann musst Du es tun!“ Daraufhin schlug Fabian den Ronny mit der Faust ins Gesicht. Er blutete sofort stark, das Nasenbein war gebrochen. Nach einem Handgemenge mit Anderen ging die 24jährige Schwester Fabians dazwischen, schnappt ihn am Kopf und schlug ihn vor einen Bierwagen. Das half, er beruhigte sich. Die Schwester wusste offenbar, wie man mit dem Bruder umgeht, wenn er gerade „hochfuhr“. Ronnys Nase musste operiert werden.

Die zweite Tat ereignete sich Anfang Januar 2018. Ronny – jetzt ALG-II-Empfänger – musste zu seinem Chef. Der hatte gehört, dass Ronny eine (Ordnungswidrigkeiten-)Anzeige wegen unerlaubten Abfeuerns von Silvester-Knaller bekommen hatte. Er machte ihm klar, dass er so etwas nicht gut findet. Fabian hatte irgendwie gehört, dass sein Vater den Betrieb darüber informierte. Er wohnte zu diesem Zeitpunkt noch bei seiner Mutter, die Eltern lebten seit zwei Jahren getrennt, der Vater mit einer Freundin zusammen. Fabian rief hoch erregt seinen Vater an und machte ihn Vorwürfe. Sein Vater und die mithörende Freundin wussten überhaupt nicht, worum es ging. Fabian entschloss sich, seinen Vater persönlich zur Rede zu stellen und ging zu ihm nach Hause. Zwei Geschwister folgten ihm, nichts Gutes ahnend. Schnell wurde aus einem Wortgefecht eine Handgreiflichkeit. Fabian schubste den Vater, beleidigte seine Freundin („Hure, Schlampe“), schlug nach ihm, brach ihm den kleinen Finger. Die Geschwister gingen dazwischen. Fabian ließ vom Vater ab, war aber immer noch „hochgefahren“. Beim Verlassen des Grundstücks trat er vor den Zaun, eine Latte brach heraus und beschädigte einen dort geparkten Mercedes (über 1.000 € Schaden).

Die dritte Tat ereignete sich im Sommer 2018: Der letzte Schultag, man saß an einem beliebten Treffpunkt, einer Haltestelle, zusammen. Fabian kam auf drei Jugendliche zu und wollte sie mit einem Nippel-Twister begrüßen: Das Verdrehen einer Brustwarze. Schwer zu verstehen, wie das als freundschaftliche Neckerei verstanden werden kann. Zwei wehrten es ab, der Dritte war unaufmerksam, spielte mit seinem Handy. Erschrocken von diesem körperlichen Angriff riss er den Ellenbogen hoch und traf Fabian ins Gesicht. Es kam, wie es kommen musste: Fabian tickte wieder aus und griff an. Einer der Jugendlichen zog, um sich zu wehren, ein Messer. „Wenn ich ein Messer sehe, sehe ich rot!“ Er zog den Gürtel aus seiner Hose und schlug wild um sich und verletzte mit der Gürtelschnalle mehrere Umstehende. Es kamen immer mehr Leute hinzu, sie versuchten, ihn zu beruhigen. Ein Zeuge hielt in fest, warf ihn dreimal zu Boden, setzte sich auf ihn: Nichts half, er schlug und trat weiter um sich.

Am Ende des ersten Verhandlungstages resümierte die Vorsitzende Richterin Schwarz: „Sie sind eine Gefahr. Sie sind gefährlich.“ Sie regte nachdrücklich an, dass sich die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe vor dem zweiten Verhandlungstag mit Fabian treffen muss. Sehr energisch sprach sie ihn wiederholt an: „Wie ich Sie so kennengelernt habe, geben Sie erst Ruhe, wenn Sie nicht mehr können, wenn Sie am Boden liegen. Sie müssen begreifen: Nicht immer die Anderen sind schuld. Sie sind schuld, Sie sind gefährlich!

Am zweiten Verhandlungstag wurden noch weitere Zeugen gehört, dass Bild von den drei Ereignissen rundete sich ab. Am Ende der Beweisaufnahme schilderte und folgerte die Vertreterin des Jugendamtes aus der Aktenlage und vom Gespräch mit Fabian, dass  massive Brüche seiner Persönlichkeitsentwicklung vorliegen, die insbesondere der familiären Situation geschuldet waren.

Fabian hatte sich bei allen Geschädigten entschuldigt, er vermittelte den Eindruck, die Taten zu bereuen. Seine verbale Einsichtsfähigkeit steht aber im Widerspruch zu seiner aggressiven Gereiztheit, wenn er sich angegriffen fühlt. Und immerhin hatte er die drei aufeinander folgenden Taten begangen, obwohl er von den jeweiligen Strafermittlungen gegen sich wusste.

Überraschend plädierte die Staatsanwältin für eine Verwarnung, eine der mildesten Sanktionen im Jugendstrafrecht, sowie zu Arbeitsstunden.

Das Jugendschöffengericht verurteilte Fabian K. zu einer Jugendstrafe von sechs Monaten, welche zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Bewährungszeit beträgt zwei Jahre. Im Bewährungsbeschluss wurde festgelegt, dass er innerhalb der nächsten drei Monate 150 Arbeitsstunden leisten, jeden Wohnsitzwechsel melden muss und der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers unterstellt wird. Darüber hinaus wurde er verpflichtet, an einem psychologischen Beratungsgespräch teilzunehmen. Die Bewährungsaufsicht übernimmt die Vorsitzende selbst. Sie machte auch klar, unter welchen Voraussetzung die Bewährung widerrufen werden muss, er also die 6 Monate Jugendstrafe antreten muss. Das Urteil ist rechtskräftig.

Es ist beruhigend, dass sich das Gericht die Zeit und Ruhe nahm, den Sachverhalt aufzuklären, Hintergründe und Motive beleuchtete und ein angemessenes Urteil fällte. Fabian hat die Chance bekommen, nachhaltig sein Verhalten zu überdenken und bestenfalls zu ändern. Ohne psychologische Hilfe ist das jedoch schwer vorstellbar. Zu wünschen wäre gewesen, dass ein Sachverständiger zur Steuerungsfähigkeit des Angeklagten Stellung bezogen hätte. Sollten nicht die Ursachen für sein aggressives Verhalten bearbeitet werden, ist eine weitere gewalttätige Karriere zu befürchten.

A.S.

(15. und 17.01.2010, Jugendschöffengericht am Amtsgericht Erfurt, Saal 16)