Der Einzelhandel klagt oft und regelmäßig über Ladendiebstähle: Der hohe Schaden, die Zahl der unentdeckten Taten, die wachsende Aggressivität haben schädigende Auswirkungen. Auch die Kunden seien betroffen, bei mehreren Milliarden € Schaden pro Jahr gibt es auch eine preissteigernde Wirkung ….
Wenig hört man hingegen über die MitarbeiterInnen im Einzelhandel. Wie fühlt sich eine Verkäuferin, die den Ladendieb bemerkt, ihn anspricht, für ihre Firma das Diebesgut heraus verlangt? Diese konflikt- und gewaltreiche Situation ist im Handel Alltag, aber auch vor Gericht.
Als Mohamed M.S. an diesen trüben und nasskalten Januartag, der besser in den November gepasst hätte, den Gerichtssaal betrat, lag die zu verhandelnde Tat schon Jahre zurück.
Bereits 2010 soll der jetzt 38jährige algerische Angeklagte in einem Gothaer Bekleidungsgeschäft drei Jacken im Gesamtwert von 150 € gestohlen haben. Er zog diese Jacken in einer Umkleidekabine unter seine eigene Jacke und wollte das Geschäft verlassen.
Die Tat blieb nicht unbemerkt, in der Beweisaufnahme sagte die 27jährige Zeugin R. „Ich war im Obergeschoß und hab gesehen, dass er was klauen will und bin runter und hab der Chefin Bescheid gesagt“. Zeugin F. „Ich habe gesehen, dass eines unsere Etiketten oben rausschaute.“ Mohamed wurde von ihr angesprochen und festgehalten. Er riss sich los, eine herbeigeeilte zweite Verkäuferin half, beide fassten den eher schmächtigen Mann erneut. Er riss sich wieder los, trat der Zeugin F. in den Unterbauch und rannte weg – so wurde aus Ladendiebstahl räuberischer Diebstahl. Die damalige Erregung ist den Zeuginnen noch jetzt anzumerken. Frau G. ist immer noch im Einzelhandel tätig, sie kann sich nicht mehr an alle Details erinnern, „da ich viel mit Diebstählen zu tun habe.“Eine der Zeuginnen ließ sich von ihrer Schwester begleiten, so unwohl fühlte sie sich. Die Zeuginnen legten Wert darauf, dass sie zwar ihren Namen, nicht jedoch ihre Wohnanschrift nannten: „Nicht vor dem da!“
Der Einsatz für den Arbeitsgeber war enorm, denn die Zeugin verfolgte den Dieb, jedoch erfolglos. Die hinzu gerufenen Polizisten trafen Mohamed M.S. in der Nähe an und nahmen ihn fest. Im Geschäft leistete er auch gegenüber der Polizei Widerstand, dass erhöht noch den Respekt vor den Verkäuferinnen.
Wie ein Puzzle klärte sich erst nach und nach der lange Zeitraum zwischen Tat und Verhandlung: Mohamed M.S. hatte sich nach der Tat mit falschen Namen ausgegeben. Als der richtige Name feststand, wurde er, noch vor Anklageerhebung, abgeschoben. Erst nach seiner Wiedereinreise im letzten Jahr konnte Anklage erhoben werden: Nach fast neun Jahren!
Am Schluss der Beweisaufnahme kam noch ein Sachverständiger der Rechtsmedizin Jena zu Wort. Der Angeklagte hatte angegeben, bei der Tat erheblich unter Alkoholeinfluss gestanden zu haben, dies bestätigten die Zeugen auch damals gegenüber der Polizei. In der Hauptverhandlung sagte er aus, dass es ihm an diesem bewussten Tag „ … ganz schlecht ging, seelisch“, und er Tabletten genommen hatte und anschließend Alkohol trank „obwohl ich weiß, dass ich das nicht darf“. Die Worte, die wohl strafmildern wirken sollten, erzielten nicht das gewünschte Resultat.
Die Staatsanwältin stellte auch sofort einen Widerspruch fest: Vor der Polizei hatte er ausgesagt, die Tabletten erst nach der Tat eingenommen zu haben.
Der Angeklagte: schwarzes, glattes, längeres Haar, tiefliegende Augen, unbewegtes, nach unten gerichtetes Gesicht, konnte Nichts erwidern.
Der Sachverständige schloss eine verminderte Steuerungsfähigkeit wegen des Alkoholgenusses nicht aus.
C
Die Staatsanwältin fasste im Plädoyer das Tatgeschehen kurz zusammen und forderte eine Freiheitsstrafe von acht Monaten. Dabei wurde von ihr die Mindeststrafe für räuberischen Diebstahl vom einem Jahr Freiheitsstrafe wegen angenommener verminderter Schuldfähigkeit unterschritten, eine Aussetzung auf Bewährung schloss sie wegen einer ungünstigen Sozialprognose aus.
Das Plädoyer des Verteidigers bezog sich insbesondere auf die lange Zeit zwischen Tat und Hauptverhandlung und forderte eine Freiheitsstrafe von vier Monaten, welche auf Bewährung auszusetzen sei. Sein Mandant – nach Bundeszentralregisterauszug nicht vorbestraft – müsse als Ersttäter behandelt werden. Dass er aus Untersuchungshaft vorgeführt wurde, darf nicht berücksichtigt werden, da die Unschuldsvermutung gelte.
Unter der Ehrfurcht einflößenden hohen gewölbten Holzdecke des Sitzungssaals verurteilte das Gericht Mohamed M.S. zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurden, die Bewährungszeit beträgt zwei Jahre, zudem muss er dem Gericht jeden Wohnortwechsel melden. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Das Urteil erscheint angemessen, die Zeuginnen waren bei der Urteilsverkündigung nicht mehr anwesend – sollten sie vom Urteil erfahren, bleibt zu hoffen, dass sie es als gerecht empfinden. Es bleiben Fragen: Wie reagiert der Einzelhandel auf die zunehmende Gewalt? Wie werden die MitarbeiterInnen des Einzelhandels beraten, welche Handlungsempfehlungen gibt es für ihren Schutz? Wie weit sollte ihr Einsatz gehen? Wo hört Einsatz und Courage auf und beginnt die Gefahr? Denn: Es ist für eine Verkäuferin schwer voraussehbar, welche Gewalt mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben der Dieb anwendet, um sich den Besitz des gestohlenen Gutes zu erhalten.
A.S.
(08.01.2019, 10:00 Uhr – Schöffengericht beim Amtsgericht Gotha, Saal 221)