Am 29. September 2013, der Nacht zum Sonntag, waren 15 fabrikneue Polizeiautos vor einem Autohaus in Erfurt in der Hermsdorfer Straße, nahe dem Einkaufszentrum TEC, in Flammen aufgegangen. Man sprach und schrieb von „Brandanschlag“. Das mediale Interesse war riesig! Schnell übernahm das Landeskriminalamt (LKA) die Ermittlungen. Die Kraftfahrzeuge, alle vom Typ VW T5, waren als Dienstfahrzeuge für die Thüringer Polizei ausgerüstet, blau-silber, mit entsprechenden Aufklebern, nur der Funk fehlte noch. Sie wurden alle komplett zerstört.
In der „Thüringer Allgemeinen“ vom 30. September 2013 war zu lesen: „Thüringens Innenminister Jörg Geibert (CDU) machte sich am Sonntagvormittag selbst vor Ort ein Bild. Er sprach von einer ‚…niederträchtigen Tat. Sie richtet sich gegen die Thüringer Polizei und damit die Bürger unseres Landes…‘, nachdem er den Tatort besichtigt hatte“
Die Ermittlungen wurden im LKA Thüringen in einer sogenannten besonderer Aufbauorganisation, kurz BAO genannt, geführt. Früher war man bei der Namensgebung von Sonderkommissionen (Soko) origineller, hier waren eher „schlichte Gemüter“ am Werk: „BAO T5“. Sowohl von der Abteilung „Staatsschutz“, als auch von der Ermittlungsabteilung „Schwere und Organisierte Kriminalität“ rekrutiert, bearbeiteten nun, unter prominenter Führung, Beamte diesen Fall, unter erheblichen Aufklärungsdruck, die so bisher noch nicht zusammengearbeitet hatten. Macht nichts, konnte ja trotzdem gut gehen. Dass es im LKA keine Zuständigkeit und somit keine Erfahrungen zu Brandermittlungen gab – egal. Schon allein die Bezeichnung „Landeskriminalamt“ reichte als Kompetenz vermutlich aus.
So wurde mit viel Aufwand und vermutlich auch Engagement ermittelt. Die Tatortgruppe hatte den Brandort aufgearbeitet, der hauseigene Brandursachenermittler hatte ein Gutachten erstellt. Das Brandstiftung vorlag, war wohl schon vorher allen klar.
Die Öffentlichkeit wurde breit in die Aufklärungs- und Fahndungsarbeit einbezogen. Es gab Zeugenaufrufe und ein Fahndungsplakat, in dem die Staatsanwaltschaft Erfurt für sachdienliche Hinweise, welche zur Ermittlung des oder der Täter führen, eine Belohnung in Höhe von 20.000 € auslobt hatte.
Der erhoffte schnelle Ermittlungserfolg blieb aus. Die Erfahrung lehrt: Je mehr Zeit vergeht, desto geringer wird die Chance der Aufklärung. Auch der weitere Ablauf ist eingeübt. Der politische Druck wird schwächer, das öffentliche und mediale Interesse lässt nach. Andere Ereignisse prägen die Schlagzeilen, neue Kriminaldelikte bewegen die Gemüter. Nach und nach wird die BAO T5 ausgedünnt, bis sie letztendlich ihre Arbeit einstellte. Dabei ist Brandstiftung ein äußerst interessantes Gebiet, sowohl kriminalistisch, aber besonders kriminologisch und psychologisch.
Jedoch arbeiteten zwei Kriminalbeamte nebenher und unverdrossen weiter an „ihrem“ Fall. Jeder in einer anderen Abteilung, wieder im Alltagsgeschäft mit eigenen neuen (und alten) Fällen betraut, kamen sie regelmäßig zusammen, analysierten immer wieder die Fakten, leiteten weitere Ermittlungsansätze ab und gingen neuen Hinweisen nach. Beide, der Haupt- und der Oberkommissar, nahmen die Tat sehr ernst. Polizeidienstfahrzeuge in Brand zu steckten, einen Schaden von über 750.000 € zu verursachen, das ging gar nicht. Das durfte nicht ungeahndet, nicht ungesühnt bleiben. Das war man der Polizei schuldig. Diese Brandstiftung musste aufgeklärt werden.
Die Hartnäckigkeit und Zähigkeit der Beiden hatte Erfolg. Ein Tatverdächtiger wird „herausgearbeitet“. Es scheint alles zu passen. Ein typischer Brandstifter. Apropos Tätertypen: Kriminalistisch-kriminologisch kann man bei Brandstiftungen nach der Motivlage in Taten mit wirtschaftlichen Hintergrund („warmer Abriss“ – Versicherungsbetrug), einer Verhaltensstörung (z.B. Pyromanie, Zerstörungswut, Geltungssucht, aber auch sexualisierte Motive), eine politische motivierte Brandstiftung bis hin zum terroristischen Brandanschlag oder eine Brandlegung durch Angehörige von Feuerwehren („brennende Leidenschaft“) sowie Brandstiftung zur Verschleierung anderer (schwerer) Straftaten unterscheiden. Auch Brandstiftungen im Auftrag eines Dritten, sowohl aus wirtschaftlichen oder anderen (niederen) Motiven gibt es, der Brandstifter erhält dafür meist eine entsprechende Gegenleistung vom Auftraggeber.
Da der vom Landeskriminalamt ermittelte Beschuldigte bereits mehrere Brandstiftungen verübt hatte und schon rechtskräftig verurteilt wurde, handelte es sich bei ihm nach einer zusätzlichen Klassifizierung um einen Serientäter.
Durch verschiedene, sich teils widersprechender Pressemeldungen, geriet die Sache in den „Augen der Öffentlichkeit“ ganz schön durcheinander.
Die Erste Pressemeldung
Am 23. Oktober 2018 meldete das Landeskriminalamt, dass eine fünf Jahre zurückliegende Brandstiftung aufgeklärt wurde. Wie das LKA weiter mitteilte, hat ein 27jähriger gestanden, 2013 auf dem Gelände des Autohauses Glinicke in Erfurt die 15 fabrikneuen Polizeifahrzeuge angezündet zu haben. Brisant: Der Mann war zum Tatzeitpunkt im Umfeld der rechtsextremen NPD aktiv.
In dem Ermittlungsverfahren waren über 1.500 Menschen befragt oder als Zeugen vernommen sowie mehr als 1.300 gesicherte Spuren geprüft worden. Der Beschuldigte wurde bereits 2017 vom Landgericht Erfurt unter anderem wegen vollendeter Brandstiftung sowie versuchter Brandstiftung zu einer Haftstrafe von fünfeinhalb Jahren verurteilt. Die „Thüringer Allgemeine“ titelte am 28. März 2017: „Brandstifter in Erfurt zu fünfeinhalb Jahren verurteilt“ und nannte einige Details zur Verhandlung. So soll der damals 25-Jährige wegen achtfacher Brandstiftung und zahlreicher Sachbeschädigungen verurteilt worden sein. Unter anderem hatte er einen Sattelzug in Erfurt, der mit Pizzaverpackungen beladen war, angezündet. „Der 29-jährige Fahrer hatte sich in der Zugmaschine zum Schlafen gelegt. Polizisten, die in der Brandnacht als erste vor Ort waren, weckten den Fahrer, dem es daraufhin noch gelang, die Zugmaschine vom Anhänger zu trennen und aus der Gefahrenzone zu bringen“, so der TA-Bericht. Auch ein weiterer Brand eines LKW ging auf seine Kappe. Die Bearbeitung dieser Delikte oblag der örtlichen Kripo-Dienststelle Erfurt, sie ermittelte auch den Täter.
Zu diesem Zeitpunkt lag die Brandstiftung an den Polizeieinsatzfahrzeugen fast vier Jahre zurück! Die Arbeit in der BAO „T5“ war längst eingestellt. Es liegt nur Nahe, dass die beiden unentwegten LKA-Ermittler auch ihn unter die Lupe nahmen. Er saß vorerst in Untersuchungshaft, hatte eine langjährige Freiheitsstrafe zu erwarten. Über die akribische Kleinarbeit, die dann folgte, gibt es natürlich keine Auskünfte.
Während unmittelbar nach der Tat im Jahr 2013 und in den Wochen danach die Ermittlungen medial stark begleitet wurden, ging die Meldung zur doch spektakulären Aufklärung 2018 fast unter.
Die eher nüchterne Pressemitteilung des LKA entsprach nicht dem sonst Eingeübten. Zu erwarten gewesen wäre eine gemeinsame Pressekonferenz der Erfurter Staatsanwaltschaft mit dem Landeskriminalamt, Presse, Funk und Fernsehen. Aber: Nichts dergleichen kam. Keine Fotos, keine Statements. Nanu? Warum wurde dieser wirklich starke Ermittlungserfolg nicht entsprechend „verkauft“ und damit auch die Leistungen der beiden ermittelnden Kriminalbeamten gewürdigt?
Aus Polizeikreisen war zu hören, dass der ermittelnde Staatsanwalt dies ausdrücklich nicht wollte!
Warum? Keine Ahnung! Unverständlich. Jedenfalls zu diesem Zeitpunkt.
Die Zweite Pressemeldung
Am 26. September 2020 die überraschende Nachricht in der Thüringer Allgemeinen: „Auch nach sieben Jahren nach Brandanschlag auf die Polizeiautos noch keine Spur zu den Tätern“.
Was nun?
Der umfangreiche Bericht von Kai Mudra, zwei Jahre, nachdem das Landeskriminalamt die Aufklärung meldete, überraschte doch erheblich. „Der Beschuldigte wie auch ein Informant saßen damals wegen anderer Straftaten im Gefängnis.“ Und weiter aus dem Bericht: „Es bestehe gegen die Männer kein Tatverdacht, erklärt nun ein Sprecher der Staatsanwaltschaft dieser Zeitung. Damit ist bis heute nicht klar, wer 2013 die 15 Fahrzeuge angezündet hat.“
Dieser zweite Bericht kann zumindest einen Hinweis darauf geben, wie die Überführung des Täters (nicht?) gelang: Es gab wohl einen Informanten, der wie der Beschuldigte in Haft saß – ein Klassiker!
Und dann nimmt der Artikel eine andere Wendung: „Der vermeintliche Ermittlungserfolg lenkte 2018 den Blick auf mögliche Täter aus dem rechtsextremen Lager.“ Und gipfelt in diesem Satz: „Laut Innenministerium wurden der oder die Täter im Bereich ‚politische motivierte Kriminalität – links‘ vermutet.“ Wie?
Damals wandte sich das LKA verwundert an die zuständige Staatsanwaltschaft. Von dort erklärte man, dass das Verfahren nur gegen die anfänglich aufgelisteten Beschuldigten eingestellt wurde; der durch das LKA ermittelte Täter aber noch den Status eines Beschuldigten besitze und die Anklage vorbereitet wird. Das verstehe wer will.
Die Dritte Pressemeldung
Und am 26. Oktober 2018 war von Kai Mudra unter der fragenden Überschrift „Nach Brandanschlag auf Polizeifahrzeuge: Hat Hinweisgeber Anspruch auf Belohnung?“ Weiter zu lesen: „Ein Hinweisgeber sorgte mit dafür, dass der Brandanschlag von 2013 aufgeklärt wurde. Jetzt prüft der Generalstaatsanwalt von Thüringen, ob diese Person die ausgelobten 20.000 Euro erhält.“
Meine aktuelle Anfrage an den Thüringer Generalstaatsanwalt wurde an den Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Erfurt weitergeleitet. Oberstaatsanwalt Grünseisen bestätigte, dass es in diesem Fall einen Hinweisgeber gab. Dieser hat wohl auch zur Aufklärung nicht unerheblich beigetragen. Ob, wann und in welcher Höhe eine Zahlung an den Hinweisgeber erfolgt, konnte nicht gesagt werden, da das Verfahren noch nicht abgeschlossen ist.
Geführt wird dieses Verfahren bei der Staatsanwaltschaft Erfurt von Oberstaatsanwalt Kästner-Hengst. Nach der Pressemeldung vom September 2020 sagte er mir am Rande einer anderen Verhandlung, dass diese TA-Information nicht stimme und er den vom LKA ermittelten Beschuldigten schnell anklagen will.
Da lag das Geständnis auch schon 1 ½ Jahre zurück.
Die aktuelle Anfrage bei der Staatsanwaltschaft Erfurt ergab: „Das Verfahren ist noch bei der Staatsanwaltschaft Erfurt anhängig. Mit einer Abschlussentscheidung ist demnächst zu rechnen. Der Beschuldigte befindet sich in anderer Sache in Strafhaft.“
Ach so.
Bleibt zu hoffen, dass der Beschuldigten nicht zuvor aus der Haft entlassen wird, denn seine fünf Jahre und sechs Monate Freiheitsstrafe sind bald um.
Brandstiftungen sind gemeingefährliche Straftaten, nicht nur hohe Sachschäden, sondern insbesondere der Schutz von Leben und Gesundheit erfordern alle präventiven und repressiven Anstrengungen, um die den Brandstiftungen innewohnenden Gefahren zu minimieren.
Keine Eile?
Was sagte noch der damalige Innenminister Jörg Geibert 2013? Er sprach von einer „niederträchtigen Tat. Sie richtet sich gegen die Thüringer Polizei und damit die Bürger unseres Landes.“
Das stimmt wohl. Was denkt aber Oberstaatsanwalt Kästner-Hengst in den letzten fast 2 ½ Jahren darüber?
Und was macht ein LKA dessen Ermittlungserfolge offenbar ignoriert werden?
Nur eine Frage lässt sich jetzt schon beantworten: Was macht ein Serientäter, der ermittelt wurde, ein Geständnis abgelegt hat und trotzdem nicht zur Rechenschaft gezogen wird!