Über das Innenleben einer Justizvollzugseinrichtung wissen wir normalerweise fast nichts: Teilweise werden Einblicke via Fernseher ins häusliche Wohnzimmer geliefert, meist Klischees bedient oder gebildet. Ansonsten bleibt die geschlossene Gesellschaft tatsächlich verschlossen.
Den Rahmen dieser eigenen Welt bilden konkrete, die Bedürfnisse einschränkende Regeln: Freiheit und Freizügigkeit, Sexualität, Genuss- und Rauschmittelkonsum, Kommunikation – alles geregelt, überwacht und kontrolliert – durch die Justizbeamten. Sie sind wichtige Akteure inmitten einer Subkultur. Und immer mitten drin; über die Zeit ist Distanz schwer möglich.
Über die Werte, Normen und Verhaltensweisen dringt wenig Authentisches nach Außen. Drinnen werden andere Sachen wichtig: Image, äußeres Erscheinungsbild, Symbole, körperlicher Ausdruck, spezielles Vokabular.
Hin und wieder gibt es Einblicke, wie an sechs Verhandlungstagen vor der 8. Strafkammer am Landgericht Erfurt. Die Justizvollzugseinrichtung Tonna, eine von insgesamt vier solcher Einrichtungen in Thüringen. Hier sitzen überwiegend die „schweren Jungs“: Lebenslängliche, Freiheitsstrafen über 5 Jahre usw. Ein Neubau aus dem Jahr 2002 mit über 500 Haftplätzen der größte Thüringer „Knast“ und zudem mit fast 280 Bediensteten auch ein großer Arbeitsgeber in der Region. Hier lernten sich die Angeklagten kennen.
Das Plädoyer des Staatsanwalts fasst die Vorwürfe und die Beweisaufnahme gegen die vier Angeklagten zusammen: Der Strafgefangene Er. Y. kommunizierte aus Tonna mit dem ehemaligen Mitgefangenen Lars B., ein Ex-Bandido aus Weimar. Das ganze Gesicht, den Hals, die Hände und Finger tätowiert, mit Bierbauch und sprachlich limitiert, entsprach er sowohl dem Rocker-, als auch dem Gefangenen-Klischee. Er sollte die verschiedene Gegenstände besorgen, welche dann ein weiterer ehemaliger Mitgefangener, Andreas K., nach Tonna fahren sollte, da Lars B. keinen Führerschein (mehr) besitzt. Lars B. versichert den Er. Y., das ein „Hund“ von ihm die Sachen entgegen nehmen und in den Knast bringen würde. Ein Hund? Hier kommt der vierte Angeklagte ins Spiel. Detlef H., ein (mittlerweile entlassener) Lehrausbilder eines Berufsförderungswerkes, welches in der JVA Gefangene ausbildete. Lars B. nannte ihn „seinen Hund“. Da scheint nicht nur die Distanz verloren gegangen zu sein. Detlef H. bildete alle drei Angeklagten mit aus. Er war kein Justizbeamter, sondern Angestellter beim Berufsförderungswerk, aber ein sogenannter besonders Verpflichteter und somit Amtsträger. Er sollte einen „Gefallen“ tun und die Gegenstände mit rein nehmen und dafür 200 € erhalten.
Die ganze Sache wurde per Telefon abgesprochen und Übergaben vorbereitet. Im zweiten Versuch übergab Andreas K. an Detlef H. einen Beutel, welcher ein Buch und eine Schachtel enthielt.
Das Landeskriminalamt hatte aber bereits Wind von der Sache bekommen und die entsprechenden Telefone abgehört. Das Treffen an einem Baumarkt-Parkplatz in Bad Langensalza im November 2015 wurde observiert und unmittelbar nach der Übergabe erfolgten die beiden Festnahmen von Detlef H. und Andreas K. Auch Lars B. wurde in der Folge verhaftet, Er. Y. war ja noch in Tonna in Haft. Die weiteren Untersuchungen ergaben: Es wurde ein fachmännisch als neu eingeschweißtes Buch sichergestellt, in welchen sich 20 Ampullen Testosteron („Mucki-Hormon“) und drei Mobiltelefone mit Zubehör befanden. In der Schachtel waren knapp 30 Gramm Haschisch sowie ca. 30 Gramm Spice, ein synthetisches Cannabinoid, welche Andreas K. beschaffte und in die Schachtel verpackte. Darüber hinaus wurde ein 50-€-Schein sichergestellt – der vermutliche Lohn für den Lehrausbilder. Lars B. besorgte das Testosteron und die Handys, präparierte das Buch, indem er die Buchseiten so ausgehöhlt, dass die Gegenstände hineinpassten – quasi filmreif. Bloß seine Fingerabdrücke hätte er nicht hinterlassen dürfen.
In der Beweisaufnahme wurden der Tathergang, besonders durch die abgehörten Telefonate, die Festnahme sowie die kriminaltechnischen Beweise schnell klar, sodass die Taten nicht abzuschreiten waren. Das Plädoyer des Staatsanwalts war auch klar und überzeugend. Er forderte für Detlef H. eine Bewährungsstrafe, für die Anderen Freiheitsstrafen ohne Bewährung.
Die jeweiligen Verteidiger bemühten sich redlich und versuchten, die Tatbeteiligung und den Tatbeitrag ihres Mandanten klein zu reden. Der Verteidiger von Lars B. stellte dar, dass eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung vorliegt, immerhin waren seit der Tat vier Jahre vergangen.
Der Verteidiger von Andreas K. empörte sich über die vom Staatsanwalt geforderten Strafen. Vor Prozessbeginn muss es eine „Verfahrensabsprache“ zwischen Gericht, Staatsanwalt und Verteidigung gegeben haben. In diesen „Rechtsgespräch“ forderte der Staatsanwalt geringere Freiheitsstrafen. Dem stimmte wohl das Gericht nicht zu und der „Deal“ platzte.
Die 8. Strafkammer blieb in seinem Urteil knapp unter dem Antrag des Staatsanwalts. Andreas K. wurde zu zwei Jahre und fünf Monate Freiheitsstrafe verurteilt, davon gelten zwei Monate wegen langer Verfahrensdauer als vollstreckt.
Er. Y. wurde zu einem Jahr und fünf Monate Freiheitsstrafe verurteilt, davon gilt ein Monat wegen langer Verfahrensdauer als vollstreckt.
Lars B. wurde zu einem Jahr und fünf Monate verurteilt, davon gilt ein Monat wegen langer Verfahrensdauer als vollstreckt. Die Strafen wurden ohne Bewährung ausgesprochen.
Detlef H. wurde zu neun Monaten Freiheitsstrafe (davon gilt ein Monat wegen langer Verfahrensdauer als vollstreckt), welche zur Bewährung ausgesetzt wurde sowie zur Zahlung von 1.500,- € Geldstrafe verurteilt.
Die Verurteilung erfolgte nicht – wie angeklagt – wegen Bestechlichkeit und Bestechung, sondern als Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung, da das „reinbringen (gehen) in die JVA“, als Tätigkeit nicht als eine spezifische Diensthandlung eines Lehrausbilders angesehen wurde und damit nicht als konkrete Dienstpflichtverletzung.
Medienrecherchen hatten im November des vergangenen Jahres ergeben, dass zwischen den Jahren 2011 und 2015 Drogen im Wert von mehr als einer Million Euro in der Justizvollzugsanstalt Tonna verkauft worden sein sollen (Kleine Anfrage 2963 vom 28. März 2018 im Thüringer Landtag). Dem gegenüber stehen im Vergleichszeitraum noch nicht einmal 100 BtM-Sicherstellungen.
Bleibt zu hoffen, dass die Verantwortlichen in der Justiz die notwendigen Schlüsse ziehen. Die Antwort auf die Kleine Anfrage sieht aber eher nicht danach aus.
A.S.
(09.01.2010, letzter von sechs Verhandlungstagen, 8. Strafkammer am Landgerichtgericht Erfurt, Saal E. 48)
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